Landtag,
3. Sitzung vom 04.10.2001, Wörtliches Protokoll - Seite 19 von 130
in Zukunft auch bei
jedem Gesetz geprüft werden: Ist es sozial verträglich? - Das soll dieses
Gesetz leisten. Es soll in die Verfassung eine neue Klausel hineinkommen und es
soll sichergestellt werden, dass der Staat seiner Verantwortung in Bezug auf
soziale Sicherheit nachkommt.
Damit auch
alle wirklich gut informiert sind, habe ich für alle solche Broschüren
mitgebracht (Die Rednerin hält eine
Informationsbroschüre in die Höhe.), und ich möchte Ihnen die Klausel, um
die es hier geht, im Folgenden zur Kenntnis bringen.
Dem
Artikel 1 der Österreichischen Bundesverfassung: "Österreich ist eine
demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus. ", soll folgender
zweiter Absatz hinzugefügt werden - ich bitte Sie, sehr genau zuzuhören, denn
darum geht es dann in der Folge -:
"Österreich
ist ein Sozialstaat. Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die soziale
Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als
eigenständige Ziele.
Vor Beschluss
eines Gesetzes wird geprüft, wie sich dieses auf die soziale Lage der
Betroffenen, die Gleichstellung von Frauen und Männern und den gesellschaftlichen
Zusammenhalt auswirkt (Sozialverträglichkeitsprüfung).
Die
Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit
und Armut erfolgt solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme.
Die Finanzierung der Staatsausgaben orientiert sich am Grundsatz, dass die in Österreich
lebenden Menschen einen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen
Beitrag leisten."
Das soll in
die Verfassung hineinkommen, und das soll sichern, dass der Sozialstaat
Österreich weiter existiert und ausgebaut werden kann.
Wie Sie dieser
Klausel entnehmen können - und es ist die konkreteste im gesamten EU-Raum -,
geht uns das alle an, denn jeder kann krank werden, jeder kann alt werden,
jeder kann behindert werden, jeder kann arbeitslos werden. Das heißt, dieser
Sozialstaat ist im Interesse faktisch aller - auszunehmen sind nur die, die vom
Kapital leben und ihr Kapital vielleicht ohnehin längst in irgendwelche
Stiftungen gerettet haben.
Die
InitiatorInnen und UnterstützerInnen haben gestern eindringlich auf die Frage
hingewiesen: Wo ist der Feind dieses Sozialstaates? Wer ist der Feind des Sozialstaates?
- Der Feind des Sozialstaates ist die neoliberale Entwicklung, ist eine neoliberale
Politik. Wir alle kennen mittlerweile in- und auswendig die Markenzeichen neoliberaler
Politik. Wir kennen sie alle und hören sie immer wieder: weniger Staat, mehr
Markt, mehr Eigenvorsorge, und von "sozialer Treffsicherheit" ist die
Rede. Wir kennen auch den Stehsatz neoliberaler Politik, der da lautet: Wir
können uns den Sozialstaat nicht leisten.
Ich möchte
hier für die GRÜNEN festhalten: Das stimmt nicht! Wir können und wir müssen uns
den Sozialstaat leisten! (Beifall bei den
GRÜNEN sowie des Abg Johann Driemer.)
Ich möchte nur
in einem Einschubsatz darauf hinweisen, dass sich das in den Köpfen der
Menschen mittlerweile festgefressen hat, dieses "Wir können uns das nicht
mehr leisten". Es wird aber nicht richtiger, wenn man es oft sagt.
Auch die ganze
Debatte um das Nulldefizit hätte man sich sparen können, hätte Österreich
rechtzeitig eine Politik gefahren wie einige der skandinavischen Länder, würde
Kapital besteuert, würde man dafür sorgen, dass jene, die es sich leisten können,
ihren Beitrag zur Allgemeinheit und zum allgemeinen Wohlstand auch tatsächlich
leisten. Würde Kapital in Österreich so besteuert, wie zum Beispiel in Finnland
oder auch nur im Schnitt der OECD-Länder, wir hätten gar keine
Nulldefizit-Debatte, weil wir gar kein Defizit hätten.
Was tut der
Neoliberalismus in Österreich, in Wien? - Er tut das, was er überall auf der
Welt tut: Er greift zuallererst immer das Gesundheitssystem und das
Bildungssystem an. Der Sozialstaat ruht sozusagen derzeit auf vier Säulen und
diese vier Säulen werden permanent untergraben und angegriffen. Das sind die
Säulen der Unfallversicherung und der Krankenversicherung, der
Arbeitslosenversicherung, der Altersvorsorge und eines öffentlichen
Bildungssystems. Diese Säulen werden so lange untergraben, bis sie wackelig
werden und dann vielleicht überhaupt fallen.
In diesem
Zusammenhang stellt sich eine wichtige Frage: Es geht bei uns ja nicht nur um
die Erhaltung des Sozialstaates so, wie er jetzt ist, denn so genügt er uns
schon nicht mehr und bietet er nicht mehr die soziale Absicherung, die wir benötigen.
Was ist mit all den neuen Problemen, die aufgetaucht sind? Was ist mit den
Problemen der Zuwanderung? Was ist mit den Problemen der MigrantInnen? Mit den
Problemen jener, die eine atypische Beschäftigung haben und die von dem, was
sie mit ihrer Arbeit verdienen, jetzt schon nicht mehr leben können? Was ist
mit all diesen neuen Problemen? Was ist mit einer bedarfsorientierten Grundsicherung?
Wir wissen
alle: Der alte Sozialstaat reicht nicht mehr. Wir brauchen einen neuen, der
diese neuen Probleme ebenfalls löst! Das heißt, wir müssen den Sozialstaat
erneuern und investieren in einen Sozialstaat neu. Das ist auch die Meinung der
GRÜNEN.
Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Ich weiß schon, wie wahnsinnig antiquiert das
klingt, wenn man von Sozialstaat und von Solidarität spricht. Das ist aber
alles andere als antiquiert, denn das ist der soziale Kitt, den wir auch hier
in Wien so dringend brauchen. Ich möchte Sie heute nachdrücklich darauf
hinweisen, dass es auch um den Zusammenhalt der Gesellschaft und auch um den
sozialen Frieden in unserer Stadt Wien geht, und dafür müssen wir kämpfen!
Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Dieses Volksbegehren hat eine große Breite. Seine InitiatorInnen
und UnterstützerInnen bilden ja keine "rot-grüne Ecke", sondern das
Volksbegehren hat gesellschaftlich
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