Gemeinderat,
35. Sitzung vom 24.11.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 115 von 134
Das heißt, es gibt keine Leistungsverträge mehr, sondern es
gibt individuelle Förderung. Der Fonds Soziales Wien fördert jeden einzelnen
Kunden, lauter kleine Mikrobeträge, und die Kundin oder der Kunde kann sich
dann am Markt per anerkanntem Dienstleister ihre oder seine Leistung
zusammenkaufen.
Da stellen sich viele Fragen. Was ist zum Beispiel
mit einer älteren Dame, die in Stammersdorf wohnt, dreimal am Tag eine
Heimhilfe oder eine Pflegehilfe braucht und keinen Dienstleister findet, weil
die sagen, in Stammersdorf haben sie niemanden, sie solle zu einem anderen
Dienstleister gehen, aber sie keinen Dienstleister findet, der sich die Mühe
macht? Das ist wie bei der ÖBB. Wer will schon die Sumerauer Bahn betreuen.
Was tut ein Kunde, wenn er sein Geld nicht an eine
Organisation los wird, weil ihn niemand betreut? Zum Fonds Soziales Wien kann
er nicht gehen, weil von dort ist er gefördert worden. Zum Dienstleister kann
er auch nicht gehen, weil dort findet er niemanden. Die Menschen können
ziemlich überbleiben. Stellen Sie sich alte Menschen vor, für die es sowieso
schon schwierig ist, sich zu entscheiden, ob man sich einen neuen
Telefonanbieter kauft oder ob man bei der Liberalisierung des Strommarkts
mitmacht oder sonstige Entscheidungen des Alltagslebens trifft, die plötzlich
wichtig werden und auf die man durch ein langes Leben, wo Dinge Struktur
hatten, nicht vorbereitet ist. Diese müssen in ihrer Pflegebedürftigkeit, in
ihrem Alter, in ihrer sozial schwachen Situation auf einmal auf einen Markt
reagieren, den sie vielleicht nicht durchschauen. Und ob das EU-Wettbewerbsrecht
schon ausgetrickst ist, habe ich meine Zweifel.
Ich habe alles Einsehen, dass man verhindern möchte,
dass es Anbieter gibt, die zu Dumpingpreisen schlechte Leistungen machen, aber
sozusagen Ketten oder Konzerne quer durch Europa installieren. Das ist nichts,
was die Grünen wollen. Da wird sicher keine gute Qualität gesichert. Aber wie
wollen Sie denn verhindern, dass sich diese Dienstleister auch um Anerkennung
bewerben? Wo steht geschrieben, dass es nur das Wiener Hilfswerk, die
Volkshilfe oder Sozial Global sein kann? Wieso kann nicht European Homecare
kommen und sagen, sie bieten auch Superdienstleistungen an? Dann sagt man:
"Na euch haben wir bei der Anerkennung nicht gemeint. Was passiert dann?
Ich kann mir vorstellen, dann gibt es eine Wettbewerbsklage vor dem
Europäischen Gerichtshof und ob da die Stadt Wien auf dem längeren Ast sitzt,
wird sich weisen.
Ich denke, das System mit den Leistungsverträgen
könnte man zu einem seriösen, guten System weiterentwickeln. Da würde es
genügen, wenn man die Qualitätskriterien ordentlich definiert, wenn man klare
Vorgaben macht, was zu leisten ist und wenn man den Organisationen einen
Reifungsprozess ermöglicht, dass sie mithalten können und gute Qualität, gute
Angebote liefern können. Man kann den Markt sicherlich dadurch aussperren,
indem man sagt, wir verzichten auf die Leistungsvergabe und wir retten uns in
die Förderung. Da kann ich mir nicht vorstellen, dass das funktioniert.
Schlussendlich ist die Frage, wie man sich als Kunde
oder als Kundin beschweren kann. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Vertrag
mit einem Dienstleister, den Sie lösen wollen, weil er nicht gute Arbeit
leistet. Wer hilft Ihnen denn da, wenn Sie ein alter Mensch sind? Wie können
Sie Ihre Konsumentenrechte einklagen? Bei wem? Beim Fonds Soziales Wien? Der
hat Sie ja gefördert. Bei der Stadt? Die hat höchstens die behördliche Aufsicht
wahrzunehmen und wird sich nicht in die einzelnen Verträge einmischen. Da kann
es für die Menschen in der Stadt schwierig werden.
Dahinter ist die Frage der Finanzierung zu stellen.
Wer bestimmt den Preis? Wie wird der Preis kontrolliert? Gibt es Anbieter, die
durch ein Dumping sozusagen den beschränkten Markt der Organisationen, die
anerkannt sind, ruinieren? Oder gibt es eine Preistreiberei, weil man unter
sich ist und ohnehin den Markt allein besetzt? All diese Fragen sind zu
stellen.
Weil diese Fragen so wichtig sind, kann man es nicht
machen, wie es die Gemeinde Wien meint, machen zu müssen, unter Ausschluss der
demokratischen Kontrolle Statuten zu erstellen, Strukturpläne zu erarbeiten und
zu sagen, jetzt im November zeigt man dem Gemeinderat noch kein Dokument,
sondern das macht man, wenn möglich, am 19. Dezember, weil man am
1. Jänner mit allem beginnen will. Das ist keine seriöse Politik! Das ist
kein Ernstnehmen von Demokratie! Das kann ins Auge gehen und dafür kann man die
Verantwortung nicht übernehmen!
Wir verlangen daher – das ist mein letzter Beschluss-
und Resolutionsantrag –, dass allem voran das Kuratorium mit den im Gemeinderat
vertretenen Parteien besetzt wird. Lassen Sie sich in Ihre Karten schauen, denn
sonst muss man vermuten, dass Sie etwas zu verstecken haben! Wir erwarten, dass
Sie die Dienstleistungsverträge den gesetzlichen Vorgaben des
Bundesvergabegesetzes entsprechend abwickeln und dass Sie sich da nicht etwa
hineinretten, indem Sie durch Individualförderung ein System des Teilens und
Herrschens aufstellen. Diskutieren Sie die Frage, welche Aufgaben vom Fonds
Soziales Wien erbracht werden sollen vor Beschlussfassung ausführlich im
Gemeinderat und in den Ausschüssen und stellen Sie uns nicht vor ein fait
accompli, wo Sie sich dann wundern, wenn die Bevölkerung protestiert und die
Opposition Ihnen die Zustimmung verweigert! – Ich danke. (Beifall bei den
GRÜNEN.)
Vorsitzende GRin Josefa Tomsik: Als
Nächster zum Wort gemeldet ist Herr GR Dr Hahn. Ich erteile es ihm. (GR Dipl Ing Martin Margulies: Die
Abschiedsrede!)
GR Johannes Hahn (ÖVP-Klub der
Bundeshauptstadt Wien): Der Neubeginn.
Frau Vorsitzende! Frau Stadträtin! Meine Damen und
Herren!
Der vorliegende Budgetentwurf ist wirklich eine interessante
Variation von Budgettreue. Es ist sozusagen eine gnadenlose Fortschreibung des
Status Quo. In gerade sensationeller Art und Weise müssen wir feststellen, dass
eigentlich auf Ereignisse im Gesundheitsbereich praktisch nicht reagiert wird.
Ich weiß ehrlich
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular