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Gemeinderat, 35. Sitzung vom 24.11.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 114 von 134

 

Die Satzung des Fonds Soziales Wien ist funkelnagelneu. (GR Mag Helmut Kowarik: Ist das vertraulich?) Es ist nicht vertraulich, ich rede ja gerade darüber. (GR Mag Helmut Kowarik: Ich frage ja nur!) Hören Sie zu, Herr Kollege, es ist nicht vertraulich, sonst würde ich es Ihnen nicht erzählen! Wenn Sie sich die Zeit nehmen, mir zuzuhören, dann habe ich genug, um es Ihnen in aller Ausführlichkeit zu schildern.

 

Diese Satzung des Fonds Soziales Wien erlaubt eine umfassende Zuständigkeit des Fonds für die sozialen Grundbedürfnisse wie Wohnen, Arbeiten für bedürftige Menschen, für medizinische, psychische und soziale Beratung und Behandlung und Betreuung sowie Pflege von bedürftigen Menschen. Das ist sehr umfassend. Theoretisch könnte man da den ganzen Krankenanstaltenverbund subsumieren. (GR Mag Helmut Kowarik: In den Fonds hinein?) In den Fonds hinein. Fast alles.

 

Der Kollege Chorherr hat schon gesagt, der Fonds Soziales Wien kann sozusagen eröffnet werden. Das heißt, dass diese Politikfelder teilweise oder zur Gänze aus den Aufgaben des Magistrats ausgelagert werden können. Planerische konzeptive Maßnahmen werden dort erledigt, die nach Ansicht der Grünen auf der politischen Ebene verbleiben müssten und, jetzt kommt es: Expressis verbis steht in den Satzungen: "ein Rechtsanspruch von Fondsbegünstigten auf Leistungen des Fonds Soziales Wien besteht laut Satzung nicht". Das heißt, die Bürger und Bürgerinnen, die Leistungen des Fonds beziehen, werden zur Bittstellern degradiert. Sie müssen zuerst Steuern zahlen und dann können sie darum fragen, ob sie Leistungen zurückbekommen können. Wir werden prüfen lassen, ob diese Interpretation des Leistungsauftrags den Gesetzen entspricht.

 

Wir haben gehört, dass zentrale Aufgaben ausgelagert werden, also muss die Kontrolle gut sein. Wie wir aus anderen Beispielen wissen, tut Kontrolle Not in dieser Stadt. Allein die Organe des Fonds Soziales Wien sehen überhaupt keine politische Kontrolle vor. Da gibt es das Kuratorium und wie wir gehört haben, im PSD rührt dort die Opposition um. Im Kuratorium des Fonds Soziales Wien kann niemand umrühren, denn da gibt es eine Präsidentin mit Stellvertretern und dann gibt es nur mehr weisungsgebundene Beamte und Bedienstete der Stadt. Sieben Mitglieder des bis zu zehnköpfigen Gremiums sind aus den betroffenen Geschäftsfeldern und können – so steht es in der Satzung – jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen werden. Einmal falsch aufgemuckt, schon bist du weg! Sie wissen, Beamte sind zur Amtsverschwiegenheit verpflichtet, also wehe, wenn irgendetwas an Unterlagen hinausgeht. Transparenz ist nicht vorgesehen. Transparenz wird aktiv verhindert. Demokratische Kontrolle muss sich durch artige Fragen in einem Beirat artikulieren, der nicht einmal ein Organ des Fonds ist, sondern den sie hinten an die Statuten geschmiert haben.

 

Die Aufgaben, die im Fonds Soziales Wien geleistet werden, hätten sehr wohl jede Menge Anlass für demokratische Kontrolle. Es wird nämlich eine zentrale neue Orientierung gewählt, die Umstellung von der Leistungsfinanzierung zu einer Individualförderung. Das klingt kompliziert und ist in den Folgen weitreichend für die Kunden des Fonds Soziales Wien. Dazu gibt es ein Strukturpapier, die Strukturreform 2004 aus dem November, also ein ganz neues Dokument. Darin wird in bemerkenswerter Offenheit gesagt, wohin die Reise geht, nämlich von der Leistungsfinanzierung zur Förderung. Darin gibt es eine erstaunliche Offenheit, die man den Grünen gegenüber nie eingeräumt hat, obwohl wir immer gefragt haben, warum die Aufträge eigentlich nicht ausgeschrieben werden, warum das Bundesvergabegesetz umgangen wird. Damals hat es geheißen, es wäre nicht zuständig. Jetzt steht hier: "In der Planungsphase" – hören Sie zu – "zur Umstrukturierung musste erkannt werden, dass ein Großteil der derzeit abgeschlossenen Verträge und 'Beziehungen' zu sozialen Einrichtungen den Vergaberichtlinien des Bundesvergabegesetzes unterliegen." - Wie wahr, kann ich da nur sagen! Oh, wie wahr!

 

Wir erinnern uns an die sozialen Dienste und die Debatten, die wir zu Jahresbeginn über die Politiker und Politikerinnen in Doppelfunktionen geführt haben. Ausschreibung war ein Fremdwort. Die Vergaberichtlinien wurden nicht beachtet. Man hat auch nicht vor das zu tun, denn man kommt jetzt von der Leistungsfinanzierung zur Förderung. Die Begründung ist auch nicht schlecht: "Mit der Umstrukturierung soll ein offensiver Weg in die ausschreibungsfreie Förderung gegangen werden." Damit ist alles gesagt: Die Ausschreibung wollen wir uns ersparen und wir wollen neue Verhältnisse zwischen Dienstleistungsunternehmen und Kunden herstellen.

 

Dazu muss man wissen, wie es bisher ausgeschaut hat. In der Vergangenheit gab es Klienten, die von einem Dienstleister eine Leistung bezogen haben, zum Beispiel ambulante Dienste, eine Heimhilfe oder so etwas und dieser Kunde hatte einen Leistungsvertrag mit der MA 47. Die MA 47 wiederum hatte einen Vertrag mit dem Dienstleister, also waren alle durch einen Vertrag miteinander in Beziehung. Die Grünen waren nicht immer ganz glücklich, wie diese Leistungsverträge konzipiert, vergeben und umgesetzt wurden, aber ein Vertrag macht Dinge einklagbar. So ist das in unserem Rechtsstaat. Jetzt soll das ganz anders ausschauen. Jetzt gibt es - wie wir wissen - den Fonds Soziales Wien, der nicht etwa Verträge schließt, der nicht etwa die Staatsverträge schließen lässt, sondern der Fonds "Soziales Wien" anerkennt Einrichtungen als Dienstleister. Anerkennen tut er, zahlen tut er nicht. Dann kommen zum Beispiel die ambulanten Diensten – das ist ein Bereich, mit dem ich mich speziell beschäftige –, suchen beim Fonds Soziales Wien um Anerkennung an und wir wären interessiert und sind sehr gespannt darauf, nach welchen Richtlinien anerkannt wird. Gut, dann sind sie anerkannt, die Gemeinde Wien ist bislang fein raus, die Dienstleister sind anerkannt und sie schließen Leistungsverträge mit den Kunden ab. Und woher haben die Kunden das Geld? Sie werden individuell gefördert. Von wem? Erraten, vom Fonds Soziales Wien!

 

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