«  1  »

 

Gemeinderat, 35. Sitzung vom 24.11.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 111 von 134

 

Untersuchungskommission sind, ist es vielleicht neu, dass Herr Dr Vogt eine Bestandsaufnahme der Situation in den Geriatriezentren, in den Versorgungsheimen der Stadt gemacht hat, die an Schärfe und an zum Ausdruck gebrachter Sorge nichts zu wünschen übrig gelassen haben.

 

Herr Dr Vogt spricht von Zwei-Klassen-Pflege. Er spricht davon, dass man wunderbar untergebracht sein kann in Favoriten oder im Geriatriezentrum Floridsdorf. Er spricht aber auch davon, dass man unter sehr unwürdigen Bedingungen in den alten Versorgungsheimen wie Lainz, Baumgarten und Liesing leben können muss - und das zu denselben Bedingungen, zu denselben Voraussetzungen finanzieller und persönlicher Art. - Das ist eine Zukunft, die wir uns nicht wünschen!

 

Er spricht davon, dass Mängel in der Pflege verschleiert werden, dass es wunderbare Schlüssel für das Personal gibt, allein: Vor Ort stimmt der Schlüssel nicht, sind wesentlich weniger Menschen da. Er sagt auch, dass dieser Mangel an Personal zu Führungsschwäche führt, denn die Schwestern, die diplomierten Kräfte vor Ort müssen sich mehr der Pflege am Bett widmen als der Führung einer Station - und das ist keine Situation, die man auf Dauer durchhalten kann.

 

Er sagt auch, dass der Umgang mit den Angehörigen total vernachlässigt wird, dass sie sich ohnmächtig fühlen, dass sie sich ausgeliefert fühlen, dass sich niemand um ihre Anliegen kümmert. Ein sehr wichtiges und gutes Instrument, nämlich die Supervision, hat unter solchen Rahmenbedingungen wenig Chance, hat Herr Dr Vogt festgestellt. Wir haben dazu eine Debatte in der Geriatriekommission gehabt, wo mit Recht darauf hingewiesen wurde, dass das ein wichtiges, ein gutes Instrument ist, aber wenn die Stimmung so ist, dass die Menschen glauben, es nützt ohnedies nichts, dann braucht man auch kein "Seelenklo" - also jemanden, dem man erzählt, wie schrecklich es ist -, denn es ändert ja nichts. Viel wichtiger wäre Mediation: Mediation, wo Konflikte geregelt werden und Lösungen gesucht werden. - Und das ist wichtig: Wenn Supervision die Probleme nicht mehr erreicht, dann muss uns das zu denken geben!

 

Und er sagt auch - und das ist wichtig -: Das Klima unter dem Personal in den öffentlichen Geriatriezentren in von Depression, von Inaktivität, von Selbstmitleid und Entmutigung gekennzeichnet. - Ja stellen Sie sich vor: Wie kann man als engagierter Mitarbeiter, als engagierte Mitarbeiterin da noch eine Zukunft sehen, eine Hoffnung, eine Wertschätzung, eine Selbstachtung im Beruf, wenn das die Grundhaltung ist, wenn die Leute so frustriert sind, dass sie sich eigentlich selbst nicht mehr erinnern können, warum sie diesen Beruf gewählt haben?

 

Frau Stadträtin! Geschätzte Kollegen und Kolleginnen! Es soll uns heute um die Frage gehen, welche Alternativen es zu dieser Situation geben kann. Die Alternativen müssen nicht erfunden werden. Die Alternativen sind vorgezeichnet, denn es ist nicht nur so, dass wir zu wenige Pflegeplätze haben, sondern wir haben diese Strukturen der Stadt zum Teil auch nicht richtig, nicht zielgerichtet verwendet. Wenn wir - und ich zitiere noch einmal den Wiener Pflegeheimplan - Ernst machen mit dem Umbau der Strukturen, mit der Reorganisation, dann haben wir ein großes, ein mögliches Feld der Umbaumaßnahmen, der Neuorganisation der Pflege im Kuratorium Wiener Penisionisten-Wohnhäuser. Das ÖBIG hat festgestellt, dass die Nachfrage nach Wohnplätzen in den Pensionistenhäusern rapide sinken wird. Gott sei Dank brauchen wir nicht mehr, damit wir nicht Kohlen schleppen müssen, einen Platz in den Pensionistenhäusern. Was wir aber brauchen - und daher melden sich die Menschen in den Pensionistenhäusern an –, ist Stütze, vielleicht auch Aufenthalt, wenn wir pflegebedürftig sind. Wenn wir diesem Bedarf und diesem Bedürfnis der Menschen Rechnung tragen würden, dann würde uns der Umbau der Häuser des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser einen großen Schritt weiterbringen. Denn - und das sagt das ÖBIG in zwei Studien, nicht nur im Wiener Pflegeheimplan, sondern auch in einer jüngst veröffentlichten Studie aus diesem Jahr - allein bis zum Jahr 2005 werden wir um 7 000 Plätze in den Wohnheimen weniger brauchen. Da kann man reorganisieren, da kann man adaptieren, und da kann man Geld gut verwenden, denn das sind wohnortnahe Strukturen, das sind zum Großteil gut ausgebaute Häuser, die man für die Pflegeaufgaben adaptieren kann, und sie sind dort, wo die Menschen leben, und man muss sie dann nicht in die Großheime an den Stadtrand schicken.

 

Und dort könnte man auch die Änderung der Personalstrukturen angehen, und das heißt – auch nach dem, was man hört, wenn man mit dem Pflegepersonal in den Geriatriezentren spricht - mehr Differenzierung. Nicht alle Menschen, die in den Pflegeheimen wohnen, brauchen ständig und dauernd Ärzte. Das heißt, die Ärzte sind auch - und da ist dem Personal Glauben zu schenken - in vielen Bereichen unausgelastet oder falsch eingesetzt. Wenn wir hier spezieller arbeiten und mehr Investitionen in die Sozialarbeit, in die Ergotherapie, in die Physiotherapie und in das diplomierte Personal leisten würden, dann könnten wir in diesen wohnortnahen Strukturen durchaus auch mit Sprechstunden, mit Rufbereitschaft zurechtkommen. Nicht in allen Pflegestufen brauchen die Menschen ständig Ärzte, das ist ja eine Binsenweisheit. Wir könnten uns dann mit der medizinischen Betreuung auf diejenigen Gruppen in der Geriatrie beschränken oder in erster Linie konzentrieren, die viele Krankheiten oder schwere Krankheiten haben und die auch ständig medizinische Intensivbetreuung brauchen.

 

Frau StRin Pittermann! Sie haben in der letzten Sitzung der Untersuchungskommission eigentlich sehr verständnislos auf meinen Vorschlag reagiert, die Heimgrößen radikal herunterzufahren. Sie haben gemeint: Wo kommen wir denn da hin, wenn wir lauter kleine Häuser haben, und wo wäre denn da in Wien die Versorgung?, und: Da würden ja so viele nicht passen! - Sie haben Recht: Nicht nur das Geriatriezentrum Am Wienerwald passt dann nicht, sondern dann passt auch das Haus der Barmherzigkeit nicht - da haben Sie Recht -, selbst wenn man es jetzt neu ausgebaut hat.

 

Aber aus Strukturmängeln zu lernen heißt, Schritte in

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular