Landtag,
3. Sitzung vom 04.10.2001, Wörtliches Protokoll - Seite 103 von 130
kratie in diesem Land schädlich. Denn eine Kernsäule der
Demokratie ist der Dialog. Demokratie besteht darin, dass man den Dialog sucht
und dass man versucht, den Andersdenkenden von der eigenen Meinung zu
überzeugen, manchmal in einer etwas schärferen Gangart, manchmal einfach mit
dem besseren Argument.
Jetzt frage ich Sie - im Besonderen frage ich die
Damen und Herren von der FPÖ und von der ÖVP, aber viel mehr richtet sich diese
Frage an die FPÖ -: Bitte, wann haben Sie sich an die ausländische Bevölkerung
hier zu Lande gewandt und versucht, sie davon zu überzeugen, dass es gut ist, Deutsch
zu lernen und Deutschkurse zu besuchen? Wann haben Sie eine Kampagne in dieser
Richtung gestartet? Wann haben Sie in deren Blättern inseriert? Wann haben Sie
versucht, in deren Blättern vorzukommen? Sie haben eigene Zeitungen, sie haben
eigene Medien, sie konsumieren auch tagtäglich Fernsehen, Zeitungen und alles
Mögliche. Wann war irgendeiner von Ihnen dort und hat dafür plädiert, dass
diese Menschen Deutschkurse besuchen sollen? Wann haben Sie irgendwelche Kurse
organisiert, angeboten, gefördert?
Das Einzige, was Sie getan haben, war, die Kurse, die
die Stadt Wien anbietet, abzulehnen. Jahrein, jahraus ist das alles gewesen,
was Sie getan haben. Sie haben von Haus aus den Versuch unterlassen, den Dialog
mit dieser Bevölkerungsgruppe überhaupt zu starten. Alles, was Sie getan haben,
war, das zu tun, was eigentlich nur in einem totalitären Staat möglich und
denkbar ist: Sie haben gleich Zwangsmaßnahmen ergriffen. Sie haben nicht den
Dialog gesucht, sondern Sie haben gleich vorgeschrieben.
Mir fällt für diese Vorgangsweise keine andere Bezeichnung
als "totalitärer Staat" ein. Denn nur in einem totalitären Staat
erdreistet man sich, den eigenen Bürgern vorzuschreiben, was gut für sie ist.
Da kann man ihnen dann vorschreiben, was sie anziehen sollen. Man kann ihnen
vorschreiben, was sie reden sollen. Man kann ihnen vorschreiben, Kurse zu machen,
oder auch, wann sie schlafen gehen sollen, wann sie aufstehen sollen, was sie
essen sollen, was sie studieren sollen. Das alles ist denkbar - aber in
Österreich ist so etwas eigentlich nicht denkbar. Denn Österreich ist eine
moderne Demokratie, eine moderne westliche Demokratie, auf die Sie stolz sind.
Was Sie hier machen, ist ganz einfach. Sie sagen: Ja,
hervorragend, Österreich ist und bleibt eine Demokratie, aber nur für die
Österreicher! Nur für die Österreicher sind wir demokratisch. Aber denjenigen,
die nicht Österreicher sind - und die auch nicht EU-Bürger sind, denn das
müssen wir ja beachten, weil wir darüber Verträge haben, die wir einhalten
müssen -, zeigen wir die totalitärste Fratze, die hier zu Lande nur denkbar ist
und die verdonnern wir zu Zwangskursen.
"Hervorragend", muss ich da sagen! Das ist
für mich nur noch eines, das ist das "G'sunde-Watschen"-Prinzip, das
jetzt hier zu Lande Politik geworden ist. Für das
"G'sunde-Watschen"-Prinzip gilt es aber schon längst als eine
Selbstverständlichkeit, dass man das nicht tut. Das tut man nicht mit Kindern,
das tut man nicht mit pubertierenden Menschen, das tut man nicht mit niemandem!
Es sind nicht Watschen, mit denen man Menschen zu ihrem Wohl bringt. Aber in
dem Fall ist es schon so: mit erwachsenen, mündigen Bürgern, die nur das
Problem haben, dass Sie keinen EU-Pass in der Tasche haben. Wenn sie nicht brav
sind, wenn sie nicht spuren, wenn sie ihren Nachbarn mit ihrem Akzent stören,
wenn sie wie auch immer nicht gut genug Deutsch sprechen - ich frage mich, wer
das bewerten soll -, dann bekommen sie eine Watsche und müssen das Land
verlassen.
"Sehr schön", das ist die Art und Weise,
wie man für Ruhe und Ordnung in diesem Staat sorgt! Das tut Österreichs
Demokratie sicherlich sehr, sehr gut.
Damit haben Sie nur eines geschafft: Sie untergraben
genau jene Werte, auf die wir so stolz sind, die Werte von Weltoffenheit, von
Solidarität, von Dialog und von Respekt vor dem anderen. Sie untergraben auch
die Werte unserer Demokratie, und das tun Sie wissentlich. Also ist es auch
undemokratisch, was hier geschieht.
Auf einer dritten Ebene stellt sich dann noch die
Frage: Ist es sinnhaft? - Jawohl, es tut gut, wenn jemand gut Deutsch spricht.
Ich betrachte mich als gutes lebendiges Beispiel dafür, dass es eigentlich
etwas nützt. Wir haben hier auch einige andere Beispiele dafür, dass es etwas
bringt, wenn man Deutsch kann. Nichtsdestoweniger ist Integration etwas anderes
und ein bisschen mehr. Integrationswilligkeit oder -unwilligkeit können Sie
weder mit Deutschkenntnissen bemessen, noch können Sie es in irgendeiner Art
und Weise mit der Bereitschaft gleichsetzen, Kurse zu belegen oder Deutsch zu
sprechen.
Sie sprechen von Integration und von einem Integrationsvertrag.
Jetzt frage ich Sie, ob Sie überhaupt verstehen, was Integration ist und was
sie sein kann. Denn jeder, der entweder selbst eine Migrationserfahrung hinter
sich hat oder auch nur sich nur die Mühe gemacht hat, mit Zuwanderern zu
sprechen, sie einmal zu befragen über ihre Probleme, über ihre Sorgen, über
ihre Hoffnungen und auch über ihre Empfindungen - diese spielen ebenfalls eine
Rolle -, der begreift sehr bald das Wichtigste: Integration fängt nicht mit Deutschkursen
an, sondern Integration fängt hier an, hier drinnen fängt es an, da, wo der
Mensch das Herz hat, und da, wo er fühlt. Integration kann man nur erreichen,
wenn ein Menschen sich zu Hause fühlt. Dort fängt man an, und man fängt damit
an, dass man allen diesen Menschen ganz einfach signalisiert, dass sie hier
willkommen sind, dass sie hier dazugehören und dass sie hier zu Hause sind.
Da brauche ich es doch nicht zu wiederholen; Hunderte Male
habe ich das immer wieder gesagt, nicht nur hier in diesem Saal, sondern bei
jeder Gelegenheit: Wie will man Menschen integrieren, denen man nach wie vor
den Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt? Wie will man Menschen integrieren, denen
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