«  1  »

 

Gemeinderat, 5. Sitzung vom 25.02.2011, Wörtliches Protokoll  -  Seite 101 von 115

 

man das Problem nicht erkennen will, dann wird man daran auch nichts ändern.

 

Das große Problem dabei sind ja letztendlich die Familien - Familien, die zerbrechen, Familien, die scheitern. Eltern, für die die Kinder das Liebste sind, die aber unter dieser Belastung, die sie gerne erbringen, zerbrechen.

 

Wenn man sich dann den Arbeitsmarkt für solche Menschen anschaut, wird es ganz traurig. Denn man steht nicht einmal mehr dem Arbeitsmarktservice zur Verfügung, weil man ja oft rund um die Uhr für diese Kinder da sein muss. Das Erste, was am AMS gefragt wird, ist: Stehen Sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung? Wenn man dann keinen Therapieplatz hat, steht man dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. Und dann kann man ganz einfach den sozialen Abstieg mitmachen!

 

Da geht es nicht um so viel Geld. Gott sei Dank ist die Zahl derer, die so stark behindert sind, nicht so groß, als dass es finanziell von uns nicht bewältigbar wäre. Ja, ich weiß, es gibt auch den Bund. Und wenn wir uns das mit dem Pflegegeld anschauen, dann wird es überhaupt sehr interessant, weil ja behinderte Kinder gar nicht so pflegebedürftig sind, weil man nämlich davon ausgeht, dass die Kinder in Wirklichkeit sowieso von den Eltern betreut werden, und diese Betreuung ganz einfach abzieht, sodass praktisch ein Kind, wenn es mit einer schweren Behinderung bis zu Pflegestufe 3 kommt, damit eine große Unterstützung erfährt.

 

Es ist aber ein Problem für die Eltern, diesen ganzen Dschungel „Wo kriege ich was?" zu durchforsten. Es ist nicht selten so, dass es zwei Jahre dauert, bis alles beisammen ist und bis man auch irgendwo Hilfe gefunden hat. Wollen wir es wirklich in Österreich - und so viel Geld haben wir - nicht zulassen, dass unsere Zukunft, unsere Kinder auch Chancen bekommen?

 

Ich gebe da ein anderes Beispiel: Es gibt ja auch Kinder, die so behindert sind, dass sie sich selbst gefährden. Bei diesen Kindern, Autisten und so weiter, kann man mit therapeutischen Förderungen viel bewegen. Diese Kinder können gesellschaftsfähig werden, sodass man mit ihnen irgendwo hingehen kann, dass sie allein auf die Toilette gehen können und, und, und, dass sie sich nicht verletzen. Das bedarf aber einer ständigen Betreuung, einer ständigen Förderung. Wenn man da einmal abbricht, wenn man da einmal aufhört, beginnt das Ganze sich wieder zurückzuentwickeln.

 

Oder Kinder, die stottern: Wenn man an und für sich keine Förderungen gibt, nimmt man denen auch das Selbstwertgefühl. Jetzt sind wir hier alle Menschen, die sich trauen zu artikulieren, was sie sich wünschen, was sie denken und so weiter. Aber diesen Kinder, die ständig gebrochen werden, die ständig ausgelacht werden - oder vielleicht nicht ausgelacht werden, weil man das nicht darf, aber geschnitten werden, indem man ihnen nicht mehr zuhört -, Therapien zu verweigern, das ist, glaube ich, nicht in unserem Sinn.

 

Wir müssen jetzt einmal das Bewusstsein schaffen! Da komme ich wieder zu diesem Punkt hin: Hier haben wir das Bewusstsein. Ich weiß, dass in manchen Bereichen - und das ist der Bereich der ganz schwer Behinderten - die Einrichtungen gut sind. Deswegen ist es auch ein Leichtes zu sagen: Hier fördern wir natürlich!

 

Aber auch den Eltern, die ein Teil unserer Gesellschaft sind, ein Teil unserer Wirtschaft sind, muss eine Bürde abgenommen werden. Unser Sozialsystem hat sich irgendwann einmal auf die Fahnen geschrieben: Wir übernehmen in der Kommune die Probleme des Alters, der Krankheit und der Not. Hier ist nicht zu erkennen, dass da sehr viel getan oder weiterentwickelt worden wäre!

 

Ich würde mir wünschen, dass wir nicht Almosen verteilen, sondern dass wir ein ordentliches Förderprogramm für diese förderwürdigen Kinder ausarbeiten. Und weil ich vorhin schon gesagt habe, dass die betroffenen Familien darunter leiden: Sie leiden zwar gerne, weil es ihre Kinder sind, aber sie leiden, weil sie sich in der Gesellschaft ganz einfach nicht so integrieren können. Sie kommen in die Armut, sie sind stigmatisiert - 100 000 Österreicher sind stigmatisiert durch die Armut. Wenn man sich das anschaut - wieder heruntergebrochen auf behinderte Kinder oder Kinder mit Defiziten -, dann kommt man drauf, dass sehr viele davon dort drinnen sind! Und wenn man sich wieder das Warum anschaut, dann ist das die Katze, die sich in den Schwanz beißt.

 

Wenn wir es nicht schaffen, wirklich ein Bekenntnis dazu abzulegen, dass wir diesen Menschen helfen, dann wird sich für sie nichts ändern. Dann wird das für sie auch in den nächsten Generationen trostlos sein. Auch diese Menschen können ein Burn-out haben, auch diese Menschen können - und wenn sie noch einen Job haben, glaubt man oft, dass sie im Job überfordert sind, aber in Wirklichkeit nehmen sie das von zu Hause mit - irgendwann einfach ausbrennen. Sie können nicht mehr! Das sind Menschen, die still vor sich hin leiden, die wir in Wirklichkeit nicht sehen, weil sie nicht mehr an der Gesellschaft teilnehmen können.

 

Wir müssen schauen, dass diese Menschen wieder ein Selbstwertgefühl bekommen, diese Familien, egal, ob Mutter, Vater oder förderungswürdiges Kind. Es drückt sich auch auf dem Arbeitsmarkt aus, wenn solche Kinder in der Familie sind, und auch die Geschwister leiden darunter. Wenn wir uns dann wieder anschauen, dass 8 000 Jugendliche gar nicht zur Lehrabschlussprüfung antreten, dass 6 000 Jugendliche die Lehrabschlussprüfung nicht schaffen, dann muss man sich auch überlegen: Sind sie alle zu dumm? Oder haben sie im Hintergrund ein Problem?

 

Dieses Problem zu erkennen, das ist der eigentliche wirtschaftliche Nutzen! Denn wenn ich das erkenne, und wenn diese Menschen gefördert werden, dann haben wir Bürger, die uns in weiterer Folge die Pensionen und das wirtschaftliche Fortkommen sichern werden.

 

Wir brauchen für unsere Jugend ein einheitliches, ausreichendes, fachkompetentes Unterstützungssystem. Und ich beende meine Rede auch wieder mit den Worten: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! (Beifall bei der FPÖ.)

 

Vorsitzender GR Mag Dietbert Kowarik: Als nächster Redner zum Wort gemeldet ist GR Univ-Prof Dr Frigo. Ich erteile es ihm.

 

19.50.38

GR Univ-Prof Dr Peter Frigo (Klub der Wiener Frei

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular