«  1  »

 

Gemeinderat, 2. Sitzung vom 14.12.2010, Wörtliches Protokoll  -  Seite 70 von 91

 

sion. Tun wir doch nicht so, als wäre uns das deswegen egal! Hier geht es um unsere Zukunft! Kinder sind Zukunft.

 

Es ist ja nicht so, dass es in Wien gar nichts Entsprechendes gibt. Es gibt Ambulatorien, es gibt Psychiater und Psychotherapeuten. Allerdings kommen in ganz Österreich 46 Psychotherapeuten auf all diese Kinder. Es gibt in ganz Österreich 90 Logopäden, die Kinder betreuen müssten, wenn sie zum Beispiel stottern, sich nicht mehr zu reden trauen, sich immer mehr zurückbilden und nichts mehr sagen. 23 Therapeuten in ganz Österreich haben einen Kassenvertrag. Ich habe es leider Gottes in der Geschwindigkeit nicht geschafft, das auf Wien umzulegen. Da sind es letztlich natürlich wesentlich weniger. Ist das nicht traurig?

 

Wir haben keine Prävention, und 1 000 Kinder haben mit Ach und Krach eine Chance, irgendwie in therapeutische Behandlung zu kommen. Das ist völlig unzureichend. Die Eltern oder Betreuungspersonen der anderen müssen schauen, dass sie eine Lösung auf privatem Wege finden, wenn es dafür überhaupt ein Kontingent gibt und sie es überhaupt schaffen, bis dorthin zu kommen, denn die Hürden sind oft sehr hoch.

 

Frau Dr Pilz hat zuerst angesprochen, dass es auch um Transparenz und Durchlässigkeit im Gesundheitssystem geht. Auch das ist selbstverständlich wichtig, aber auch davon habe ich bis jetzt, seitdem ich mich mit dem Gesundheitssystem der Stadt Wien auseinandergesetzt habe, für die Jugendlichen nicht viel gesehen! Wenn man bedenkt, dass eine Therapiestunde 83 EUR kostet und die Krankenkasse bereit ist, 22 EUR zu bezahlen, und dass man dort ja nicht ein Mal hingeht, sondern oft zwei bis drei Jahre hingehen muss, bis eine Behandlung Erfolg hat, dann versteht man auch, dass Eltern sich das einfach nicht leisten können.

 

Gerade hyperaktive Kinder, die mit hoher Auffälligkeit behaftet sind, brauchen das ganz dringend. Daran zerbrechen viele Ehen, und zwar auch an der großen finanziellen Herausforderung.

 

Wenn wir uns die Armutsstatistik aus der Armutskonferenz anschauen, dann können wir dieser entnehmen, dass in Österreich 800 000 Menschen von der Armut bedroht sind; 240 000 Menschen davon gehen 40 Stunden pro Woche arbeiten, gehen also einer Vollzeitbeschäftigung nach; 100 000 haben Merkmale der Armut. Und diesen Menschen soll man dann zumuten, wenn sie solche Kinder haben - und es wird in diesen Studien auch festgestellt, dass gerade die ärmeren Menschen ein größeres Risiko tragen, Kinder mit Störungen zu haben -, diesen Menschen soll man dann aufbürden, dass sie diese Zusatzkosten tragen müssen, dass sie durch diesen Dschungel durch müssen, dass sie Glück haben müssen, um ins AKH zu kommen, um zu Frau Dr Bogyi in die Boje oder sonst irgendwo hineinzukommen? Wenn sie dieses Glück nicht haben, dann kommen ihre Kinder in die Sonderschule. Das ist der einzige Ausweg.

 

Wir sollten auch einmal unsere Sonderschulen durchforsten, ob da nicht sehr viele Kinder drinnen stecken, die in Wirklichkeit intelligent wären, die in Wirklichkeit dem Unterricht folgen könnten.

 

Ich kann wirklich nur appellieren, Kindern eine Chance zu geben und einmal darüber nachzudenken. Es gibt so viele Studien, die bis jetzt überall ignoriert wurden. Eine Zwei-Klassen-Medizin sollte es in Wien nicht geben. Gerade die Sozialdemokratie hat das Bekenntnis dazu, dass ein Sozialsystem Krankheit, Not und Alter abdecken muss. Warum nicht Krankheit auch für Kinder? Warum gibt man das - wo es doch eine Umwegrentabilität gibt und wo es doch ganz offensichtlich eine Chance gibt, sich in weiterer Folge Geld zu ersparen - nicht ins Budget und den Kindern eine Chance?

 

Selbst eine OECD-Studie sollte einen wachrütteln, und diese dürfte hier bekannt sein. In dieser OECD-Studie, die auch eine Europastudie enthält, liegen wir auf dem letzten Platz. Wo wir auf dem 1. Platz liegen, das ist dort, wo es darum geht, dass Jugendliche rauchen oder Alkoholmissbrauch betreiben. Da gehört mehr her, dazu habe ich heute nichts gehört! Ich habe sehr viel darüber gehört, was für ältere Menschen notwendig ist - das ist auch wichtig, die haben dem Staat etwas gebracht, die haben den Generationenvertrag praktisch erfüllt, und die haben natürlich öfters Gebrechen -, aber auf diejenigen, die dann diesen Generationenvertrag weiter tragen sollen, auf die wird vergessen.

 

Und noch einmal: Die Chance, dass Jugendliche, die ein Defizit haben, geheilt werden und nicht in weiterer Folge in Depressionen verfallen, in Armut verfallen, in Arbeitslosigkeit verfallen, Arbeitsunfälle haben – auch das ist in der Studie vorgekommen, dass das vermehrt der Fall ist -, diese Chance ist groß. Und wir können - es sei noch einmal gesagt - damit viel, viel Geld sparen. Hunderttausend Kinder sind in Österreich davon betroffen. Für diese hunderttausend Kinder sollten wir uns noch einmal Gedanken machen, ob da nicht irgendwo Platz ist, ob wir da nicht im Budget noch etwas tun können.

 

Noch etwas zu dem vorher schon angesprochenen Thema Armut, was vielleicht auch nicht uninteressant ist: 16 Prozent der Angehörigen der Oberschicht tragen das Risiko, Kinder mit Defiziten zu haben, aber 32 Prozent von denen, die an der Armutsgrenze leben, wo die Eltern arbeiten gehen und versuchen, für die Kinder da zu sein. Und warum steigt das so rapide? Weil in der Gesellschaft der Druck immer größer wird, der Druck zur Produktivitätssteigerung, die in Wirklichkeit gar nicht mehr durchkommt. Wenige schaffen immer mehr. Es gibt immer mehr Arbeitslose, immer mehr Leute, die halt in irgendeine Beschäftigung kommen müssen, um die Statistiken zu schönen, aber in Wirklichkeit tragen immer weniger die Säulen unserer Wirtschaft. Burn-out ist im Vormarsch, und dieses Burn-out bekommen natürlich auch die Kinder mit. Und Kinder brauchen auch Nestwärme, auch wenn es andere Meinungen gibt, die lauten, Kinder werden nur gut aufgehoben sein, wenn sie in pädagogische Hände kommen, am besten ganz früh weg. Ich sage: Nein, Kinder brauchen auch Nestwärme! Das sozialisiert sie! (Beifall bei der FPÖ.)

 

Kinder brauchen natürlich auch Aufmerksamkeit. Kinder brauchen Hoffnung und Sicherheit. Kinder brauchen Regeln und Rituale.

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular