Gemeinderat,
33. Sitzung vom 08.05.2008, Wörtliches Protokoll - Seite 30 von 89
Kürzestzeitgedächtnis zuschlägt und Sie sich davon wiederum abkehren, denn das wäre sehr schade! Ich finde es nämlich sehr gut, wenn wir alle genau bei dieser sehr wichtigen Angelegenheit an einem Strang ziehen.
Wie wichtig es ist, diesbezüglich an einem Strang zu
ziehen, zeigt auch die Statistik, denn wir haben inzwischen einen Rekordanstieg
an Wegweisungen und auch an Betretungsverboten. Ich rufe die Zahlen, die in den
letzten Tagen auch veröffentlicht wurden, in Erinnerung: Wir hatten 1997 noch
1 449 Wegweisungen und Betretungsverbote und 138 Verwaltungsstrafen wegen
Gewalt in der Familie. 2006 waren es bereits sage und schreibe 7 235
Wegweisungen und Betretungsverbote und 629 Verwaltungsstrafen.
In Anbetracht dessen müssen wir ergründen, worauf
dieser Anstieg tatsächlich zurückzuführen ist und sollten daher diesbezüglich
Ursachenforschung betreiben, um herauszufinden, was dieser dermaßen dramatische
Anstieg, mit dem wir es insbesondere in den letzten zwei Jahren zu tun haben,
bedeutet. Im Hinblick auf diesen wirklich dramatischen Sprung werden wir auch
dem entsprechenden Antrag der ÖVP zur Ursachenforschung unsere Zustimmung
erteilen.
Meiner Meinung nach zeigt dieser Anstieg eindeutig,
dass wir auf jeden Fall entsprechende Einrichtungen brauchen, denn je mehr
dieser Einrichtungen es gibt und umso bekannter sie sind, desto mehr Opfer
trauen sich, sich an eine solche Einrichtung zu wenden und für sich selbst
Schutz vor Gewalt zu fordern. Es trauen sich dann aber auch mehr Frauen oder
Familienangehörige, sich an eine solche Einrichtung zu wenden und zu melden,
dass jemand anderer aus ihrem familiären Umfeld missbraucht wird.
Ich kann Ihnen an dieser Stelle sagen – und auch
in diesem Zusammenhang sprechen die Zahlen eine eindeutige Sprache –:
Schätzungsweise jede fünfte Frau ist von Gewalt in der Familie betroffen. Das
ist ein sehr breites und leider alltägliches Phänomen. Darüber hinaus gibt es
einmal monatlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Mord oder Mordversuch
innerhalb der Familie, wobei hievon vorwiegend Frauen und Kinder betroffen
sind.
Ich wiederhole daher vor dem Hintergrund der Tragödie
in Amstetten und in Anbetracht der Notwendigkeit, dass wir uns Gedanken über
geeignete Präventionsmaßnahmen machen müssen: Wir brauchen einen Ausbau von
Gewaltschutzeinrichtungen, vor allem auch im ländlichen Raum. Das müssen wir
unterstützen, und wir alle müssen ein Bekenntnis dafür abgeben, dass die
entsprechenden Einrichtungen, die es in Wien gibt, finanziell ausreichend
gesichert sind, damit sie qualitativ hochwertig und flächendeckend arbeiten
können, wie es jetzt in dieser Stadt Gott sei Dank wieder der Fall ist.
Wir brauchen Helplines, die bekannt gemacht und auch
beworben werden, damit Opfer und auch Familienangehörige wissen, an wen sie
sich wenden können, wenn sie selbst Schutz suchen oder wenn sie solche Vorfälle
beobachten und melden möchten. Außerdem brauchen wir Schulsozialarbeit und
Schulpsychologie, um frühzeitig erkennen zu können, wenn Kinder zu Opfern
solcher Taten werden. Im Hinblick darauf brauchen wir auch eine
spezialisiertere Ausbildung sowohl bei der Polizei als auch bei Lehrerinnen und
Lehrern und KindergartenpädagogInnen, also an all jenen Stellen, die immer
wieder mit den Opfern solcher familiärer Gewalt in Berührung kommen und mit
ihnen zu tun haben, damit sie frühzeitig erkennen und entschiedener eingreifen
können.
All das könnte dazu beitragen, dass sich solche
Tragödien und ähnliche Tragödien kleineren Ausmaßes, die sich aber tagtäglich
in unserer Umgebung abspielen, egal, ob in Amstetten, in Wien oder in der
Wohnung nebenan, nicht jahrein, jahraus so leicht unbemerkt wiederholen können.
Last but not least macht es, wie ich meine, auch
Sinn, darüber zu diskutieren, dass die strukturellen Ursachen der Gewalt in der
Familie ebenfalls bekämpft werden sollten. In diesem Zusammenhang ist es
insbesondere wichtig, die Kernfrage zu stellen: Wie kann es sein, dass Frauen,
Mütter und Ehefrauen oft jahrelang wegschauen, hinnehmen und schweigen? Was ist
der Grund dafür? – Der Grund dafür ist, dass Frauen nach wie vor vielfach
existenziell und finanziell vollkommen von ihren Ehemännern abhängig sind, und
solange es Frauen gibt, die ein Dasein in Abhängigkeit von einem anderen, in
der Regel vom Paterfamilias, fristen müssen, so lange wird es leider zu solch
tragischen Situationen kommen, dass die Frau hinnimmt, wegschaut, schweigt und
lieber nicht mitbekommt, was los ist.
Ich denke, die beste Maßnahme, die wir längerfristig
ergreifen können, damit es immer seltener zu solchen Vorfällen kommt, ist,
dafür zu sorgen, dass Frauen eigenständig sind, denn dann ist die Mutter
beziehungsweise Ehefrau im Fall des Falles in der Lage, sofort aufzustehen und
etwas dagegen zu tun und muss das nicht hinnehmen. Die Frauen sollten es
nämlich gleich beim ersten Mal, wenn dem lieben Ehemann die Hand ausgerutscht
ist, nicht hinnehmen, denn beim 10. oder 20. Mal hat man sich schon daran
gewöhnt, und irgendwann einmal sind auch die Kinder dran. Wir alle wissen, dass
es genau so abgeht.
Wenn wir sicherstellen wollen, dass kein einziges Mal
hingenommen werden muss, dass irgendjemandem die Hand ausrutscht, dann müssen
wir dafür sorgen, dass Frauen arbeiten können und genug Geld verdienen, um eine
eigenständige Existenz zu haben. Dann müssen wir außerdem dafür sorgen, dass es
ausreichend Kinderbetreuungseinrichtungen sowohl in Wien als auch auf dem Land
flächendeckend für Kinder spätestens ab dem 1. Lebensjahr beziehungsweise
unserer Meinung nach eigentlich ab der Geburt jedes Kindes gibt, sodass die
Frauen arbeiten gehen können. Auf diese Weise können die Kinder in diesen
Betreuungsstellen im Übrigen von Anfang an von Personal betreut werden, das
auch bestens geschult ist, sodass solche und ähnliche Vorfälle frühzeitig
erkannt werden können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich wissen wir alle und sollten uns darüber einig sein, was die beste
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