Gemeinderat,
35. Sitzung vom 25.11.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 46 von 120
wieder rückgängig gemacht worden ist -, dass man das im
Rahmen eines kleinen Pilotprojekts probieren möchte. Diese Zusage ist wieder
rückgängig gemacht worden, weil man sich das nicht leisten kann.
Meine Damen und Herren! Ich möchte sehr wohl in
Abrede stellen, dass man sich das nicht leisten kann, denn eine Umstellung in
Richtung persönliche Assistenz - und gleichzeitig Entinstitutionalisierung der
Betreuung behinderter Menschen, was ja damit einhergeht - muss nicht mehr
kosten. Es ist eigentlich sogar erwiesen, dass sie nicht mehr kosten muss, denn
die Betreuung von Menschen mit Behinderungen in Institutionen, in Heimen kostet
viel, viel mehr, um ein Vielfaches mehr, als die persönliche Assistenz an
Kosten mit sich bringen würde. Also muss ich zu dem Schluss kommen: Es sind
nicht die Kosten, die uns daran hindern, das in Wien umzusetzen, es ist
vielmehr der mangelnde Wille, sich die Arbeit anzutun. - Ich kann kein anderes
Motiv erkennen.
Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, wie behinderte
Menschen in dieser Stadt das selbst sehen. Ich habe hier mehrere von den
Briefen, die ich über das Internet bekomme - ich gehe davon aus, dass die
meisten von Ihnen sie auch bekommen; vielleicht lesen Sie sie auch ab und zu.
Ich möchte Ihnen den Brief von einem jungen Mann nicht vorenthalten, der an
multipler Sklerose im fortgeschrittenen Stadium leidet und noch - gerade noch -
zu Hause lebt, wo seine Eltern, seine aber inzwischen bereits älteren Eltern ihn
betreuen. Er stellt allerdings schön langsam fest, dass das jetzt immer
schwieriger wird, weil natürlich die Pflege, die er benötigt, derart aufwendig
ist, dass es für seine Eltern nicht mehr lange möglich sein wird, ihn zu Hause
zu betreuen. Das heißt , unter Umständen, wenn sich in dieser Stadt nichts
ändert, wird dieser junge Mann gezwungen sein, seinen Lebensabend in einem
Pflegeheim zu verbringen. – Also was schreibt er:
"Mit der derzeitigen mangelnden Unterstützung
seitens der Stadt Wien wird es mir in absehbarer Zeit nicht mehr länger möglich
sein, ein selbstbestimmtes und integriertes Leben wie jetzt zu führen, da die
anstrengende Pflegetätigkeit für meine Eltern bald nicht mehr bewältigbar sein
wird. Der freiwillige Hilfsdienst von Freunden ist auch nur ein Provisorium und
kann nicht auf Dauer aufrechterhalten werden."
Und weiters: "Falls die Stadt Wien mir nicht
bald die notwendigen Mittel zur Verfügung stellt, so werde ich gezwungen sein,
mein integriertes Leben in dieser Gesellschaft aufzugeben, meine Wohnung zu
verlassen, meine Arbeit zu verlieren" – denn er ist noch berufstätig –
"und in eine institutionelle Betreuungseinrichtung zu gehen. Seitens der
Sozialstadträtin Dr Laska und der zuständigen Ämter wird mein Anliegen
systematisch ignoriert. Immer wieder werden meine Schreiben und Anrufe mit
Aufschiebungen und Vertröstungen abgefertigt. Dieser Zustand der Wiener
'Sozialpolitik'," – "Sozialpolitik" hat er unter
Anführungszeichen gesetzt – "Behinderte in Heime abzuschieben, ist
menschenunwürdig.
Ich fordere die Verantwortlichen der Stadt Wien,
allen voran Frau Dr Laska auf, die Anliegen und Forderungen der
behinderten Menschen ernst zu nehmen und gemeinsam mit ihnen an Lösungen zu
arbeiten, die den Grundsätzen der Integration, der Selbstbestimmung der
österreichischen Verfassung entsprechen."
Eine bessere Begründung für den Antrag der GRÜNEN,
den erneuten Antrag der GRÜNEN zur Schaffung von Rahmenbedingungen, damit
persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderungen auch in Wien möglich wird,
kann ich mir nicht denken. Diesen Antrag haben wir bereits eingebracht, und wir
werden sicher nicht aufhören, in diese Richtung zu drängen und zu fordern, dass
die notwendigen Umstellungsarbeiten endlich auch in Wien stattfinden. (Beifall
bei den GRÜNEN.)
Die restlichen Bereiche möchte ich abhandeln, so kurz
es mir nur möglich ist, fast sozusagen überschriftenartig, weil es ja doch so
viel ist, was im Behindertenbereich gerade in Wien nicht stattfindet und noch
getan werden könnte, dass detailliertere Ausführungen dazu den Zeitrahmen, der
mir zur Verfügung steht, sprengen würden.
Zuallererst möchte ich auf das Kapitel
Barrierefreiheit in Wien zu sprechen kommen. Dieses Thema ist im Jahr 2003
auch viel diskutiert worden. Leider war es noch immer nicht möglich, die lange
geforderte und auch lang ersehnte Novelle der Wiener Bauordnung zu beschließen,
was zur Folge hat, dass mit jedem Tag, an dem diese Novelle nicht endlich
beschlossen wird, in Wien weiterhin auf sinnlose Art und Weise so gebaut wird,
dass sowohl Menschen mit Behinderungen als auch ältere Menschen mit einer Reihe
von Schwierigkeiten konfrontiert sind. Und Sie werden es mir nicht glauben,
aber selbst Neubauten, die für Ämter gedacht und vorgesehen sind (GRin Erika
Stubenvoll: Die Novelle ist fertig, aber sie ist in Brüssel!), werden so
gebaut, dass sie nachher für behinderte Menschen nicht zugänglich sind. Man
kann sich das gar nicht vorstellen!
Ich weiß, diese Novelle kommt jetzt endlich,
sozusagen demnächst, zur Beschlussfassung, aber die Historie dieser Novelle ist
aus meiner Sicht auch ein bisschen bezeichnend für den Geist, der hier weht.
Wie lange der Vorschlag dafür, der in der Unterarbeitsgruppe ausgearbeitet
wurde, schon vorliegt, das wissen Sie genauso gut wie ich. Man hat sich schon vor
über einem Jahr auf eine bestimmte Fassung geeinigt, von der es zunächst einmal
von Seiten der Beamten, die vertreten waren, geheißen hat: Ja, das kann so
kommen. Dann wurde ein Entwurf nach Brüssel geschickt, der dem nicht
entsprochen hat. Es kam dann zu massivem Protest der Behindertenvertreter und
–vertreterinnen, weil natürlich in der Fassung, in der man den Entwurf nach
Brüssel geschickt hat, mehrere gravierende Mängel enthalten waren - das wissen
Sie auch. Es hieß dann: Na gut, da gibt es vielleicht einen Initiativantrag
seitens der SPÖ. Dann hat es geheißen: Nein, man korrigiert es, man übernimmt
es, und es geht ein zweites Mal nach Brüssel. - Und dort ist es meines Wissens
seit Oktober, und von dort kommt es zurück und soll demnächst beschlossen werden.
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