Gemeinderat,
35. Sitzung vom 25.11.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 4 von 120
geschieht, wird es vermutlich im nächsten Jahr noch weniger
Geld geben als in diesem Jahr. Und damit – das muss man schon auch festhalten –
ist die Frage nach dem Gegenmodell natürlich noch mehr zu stellen, vor allem,
wenn man gleichzeitig bedenkt, dass im Jahr 2003 einige ziemlich unnötige
Geldvernichtungsaktionen auch im Kulturbereich stattgefunden haben.
Um nur ein paar zu erwähnen: das Rabenhoftheater, der
Fritsch-Nachlass, für den offenbar sehr viel, zu viel Geld bezahlt worden ist,
so Dinge wie K2, ein Kulturankündigungsmagazin der Landeshauptleute, das die
Kulturleute überhaupt nicht kennen, so Dinge wie der Verein zur Förderung der
kulturellen Partizipation, von dem mir bis heute niemand erklären konnte, wofür
er 65 000 EUR bekommt und wo eigentlich dieses Service geleistet wird
um dieses Geld, oder auch der Jazzclub "Birdland", von dem ich beim
besten Willen nicht erkennen kann, warum er einer lebendigen Kulturszene in
dieser Stadt irgendetwas bringen soll, weil er im Hotel Hilton angesiedelt
wird, das ja bekanntlich kein ganz kleines Unternehmen ist und in Wahrheit auch
nicht unbedingt der Subventionen der Stadt Wien bedarf.
Sehr geehrte Damen und Herren! Das Kulturbudget lässt
Problematisches erwarten. Statt dass wir in jene Bereiche investieren, die für
ein Modell der Gegenöffentlichkeiten, der Diskussion, der Auseinandersetzung,
des kritischen Diskurses förderlich wären, wird in hohem Maße in eine sehr
repräsentative, reproduzierende Kultur investiert, denn das, was Sie jetzt vom
Herrn Stadtrat oder seinen Kollegen von der SPÖ hören werden, wird lauten: Wir
haben doch noch die Sonderprojekte für den Mozart, wir haben doch noch das
Theater an der Wien und ganz viele andere tolle Sonderprojekte.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, diese
Sonderprojekte gibt es, aber diese Sonderprojekte gehen alle in eine Richtung,
nämlich in die Richtung der darstellenden Kunst, in die Richtung der großen
Häuser, in denen sehr repräsentative Kultur gemacht wird. Das ist an sich ja
noch nichts Schlechtes, aber es steht in einem massiven Missverhältnis zu dem,
was auch an Vielfalt in dieser Stadt herrschen muss und herrschen soll.
Das wundert mich umso mehr, als ich nicht verstehe,
warum gerade die Sozialdemokratie offensichtlich ein eigentlich nicht zu
gewinnendes Rennen durchführt mit dem Herrn Morak oder seinen Herren, die für
ihn in den Bundestheatern, in der Staatsoper und anderswo diesem Kulturbegriff
durchaus eine Konjunktur verschafft haben in den letzten Jahren. Es ist nicht
nachzuvollziehen, warum man in ein Wettrennen um ein bürgerliches Publikum
eintritt, das die Sozialdemokratie nicht gewinnen kann. Statt dass sie Aufgaben
wahrnimmt zur Ausgleichung dessen, was gerade zum Beispiel auf Bundesebene
gekürzt wird, oder sicherstellt, dass die Kultur auch in den nächsten
Jahrzehnten spannend sein kann in dieser Stadt, investiert sie in erster Linie
in diesen Bereich und kaum in das Lebendige, in das Zeitgenössische, in das
Experimentelle.
Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist ein Problem.
Es ist kein Problem, dass wir viel Geld in die Hand nehmen, um ein Mozartjahr
zu machen, das ist schon in Ordnung, aber es ist ein Problem, wenn sich hier
ein Missverhältnis darstellt. Dieses Missverhältnisse wird immer größer, die
Schere geht immer weiter auf, und das ist mehr als bedauerlich, es ist schlecht
für diese Stadt.
Lassen Sie mich vielleicht ein paar Bereiche
ansprechen, in die wir im Besonderen investieren könnten und sollten, wo wir
uns als Vorreiter positionieren könnten, wo wir klare Kontrapunkte setzen
könnten zu dem, was in diesem Land so passiert. Zum Beispiel wäre dies möglich
mit Interventionen im öffentlichen Raum, die auch einer Stadtbevölkerung, die
vielleicht Schwellenängste hat, einen Zugang zu Kunst und Kultur eröffnet, ganz
nahe dran, dort, wo Menschen leben, arbeiten und sind. Oder es wäre in jene
zukunftsweisenden Kunstsparten und Felder zu investieren, die zwar
wahrscheinlich die interessanteste Arbeit in dieser Stadt machen, aber
chronisch unterdotiert sind.
Um nur ein paar zu nennen und viele auszulassen,
nenne ich etwa so Initiativen wie Unit F oder auch das Depot, zahllose
Initiativen im Bereich Medien, viele interessante Projekte im ganzen freien
Bereich und an der Schnittstelle von Tanzperformance und Theater. Da gebe es
viel zu tun, viel zu entwickeln. Selbst die selbstgestellten Aufgabenfelder wie
zum Beispiel der Kunstmarkt Karlsplatz und anderes mehr scheinen ja völlig
unbearbeitet auf der Strecke zu bleiben, weil man sich zu sehr auf den Bereich
des Theaters an der Wien und anderes mehr konzentriert.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, dass der
gute Herr Stadtrat einiges zu tun hat im nächsten Jahr, und hoffe sehr, dass er
nicht darauf verfällt, ausschließlich jene Politik zu machen, die ich gerade
skizziert habe. Wir werden sicherlich darauf drängen, dass das nicht passiert.
Leider muss ich sagen, dass das, was ich vom Kulturbudget sehe, mich Schlimmes
ahnen lässt.
Ich möchte aber diese Rede auch noch zu einem nutzen,
nämlich mich zu bedanken für die Zusammenarbeit mit Peter Marboe, der ja heute
vermutlich zum letzten Mal hier mit uns im Gemeinderat diskutieren wird,
vermutlich aber nicht zum letzten Mal mit uns über Kultur reden wird. Ich gehe
davon aus, dass wir noch einige Diskussionen, auch zum Mozartjahr, gemeinsam
führen werden. Ich möchte mich jedenfalls für die gute Zusammenarbeit bedanken
und Ihnen sehr, sehr viel Erfolg wünschen für diese spannende Aufgabe. Sie
merken, wir werden Sie kritisch begleiten. – Danke schön. (Beifall bei den
GRÜNEN.)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Zu Wort
gemeldet ist Herr StR Dr Marboe. Ich erteile es ihm
StR Peter Marboe: Herr Vorsitzender!
Herr Stadtrat! Meine Damen und Herren!
Eine Budgetdebatte ist vielleicht ein guter Anlass, um so
ein bisschen generell zu einem Wechsel, der ja schon bekannt ist, Stellung zu
nehmen, weil ein Budget eigentlich nur das in Zahlen gegossene Bekenntnis einer
Stadt zum Stellenwert der Kultur in unserer Gesellschaft ist und weil wahrscheinlich
nirgendwo die Erwartungen und die Enttäuschungen so nahe beieinander liegen wie
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