Gemeinderat,
29. Sitzung vom 24.06.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 93 von 133
Das heißt, man bietet jemandem, der aus der Bundesbetreuung
entlassen wurde - einem Minderjährigen, weil er einen Bus versäumt hat -, ein
Zimmer an, für das er 2 500 S bezahlen soll. Dieser Preis inkludiert
weder Essen noch Betreuung. Die zu vermietenden Zimmer werden zwar von nur
jeweils einer Person bewohnt, enthalten aber nichts außer einem Bett und einem
Fernseher - keinen Kasten, keinen Sessel, keinen Tisch.
Auf seine verwunderte Frage, wie er denn zu einer
solchen Summe kommen solle - Achtung: Nigeria! -, wird ihm lapidar erwidert, er
solle die anderen Schwarzen fragen, wie sie ihr Geld verdienen.
So steht O. am nächsten Tag wieder beim Jugendamt.
Diesmal gelangt er erstmals, wenn auch nur kurzfristig, in eine Einrichtung,
die speziell zur Unterbringung Minderjähriger vorgesehen ist. Die Pension, die
von 50 Flüchtlingen bewohnt wird, verfügt gerade über einen
Fernsehapparat, der in einem viel zu kleinen Raum steht, aber die einzige
Beschäftigungsmöglichkeit für O. ist. Der Weg in den Ort ist ohne
Winterkleidung nicht zurückzulegen, und für den Bus kann er sich keinen
Fahrschein leisten. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als frierend im Zimmer
zu liegen. O. fühlt sich in St. Johann wie in einem Gefängnis.
Da gibt es noch viele weitere Geschichten. Was ich
gerne mit Ihnen in dieser Gemeinderatssitzung besprechen möchte, ist die Frage:
Wie sieht die Lage im Jahr 2002 aus? Was geschieht mit den minderjährigen
unbegleiteten Flüchtlingen? Wo sind sie untergebracht? Wer weiß etwas darüber,
und warum gibt es keine Berichte, sodass wir uns darüber unterhalten können?
Meiner Meinung nach muss das Jugendwohlfahrtsgesetz
in allen Punkten vollzogen werden, und meiner Meinung nach gilt die
UNO-Konvention über die Rechte des Kindes selbstverständlich auch für
ausländische Jugendliche, und gerade für diese.
Das ist der erste Punkt, über den ich mich mit Ihnen
gerne unterhalten möchte.
Ein zweiter Punkt befasst sich nunmehr mit der
Sozialhilfe, denn auch da, denke ich, haben wir ein großes Problem, mit dem wir
konfrontiert sind. Das Sozialhilfegesetz wird meiner Meinung nach - oder sagen
wir so: ich befürchte es - ebenfalls nicht mehr im vollen Wortlaut vollzogen,
und zwar deswegen nicht, weil es ganz offensichtlich nicht gelingt, die langen
Wartezeiten so zu reduzieren, dass sie annehmbar werden. Ich weiß nicht mehr
genau, warum es nicht gelingt. Ich nehme an, dass nach wie vor viel zu wenig
Personal vorhanden ist. Aber man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass von
dem, was in diesem Gesetz drinnen steht, nämlich dass die Hilfe rechtzeitig
erfolgen soll, dass sogar präventiv gearbeitet werden soll, ja dass die
Sozialhilfe Menschen, die gar nicht darum ansuchen, sogar quasi nachgetragen
werden soll, überhaupt keine Rede sein kann, weil die meisten Leute ja derzeit
eineinhalb bis zwei Monate lang warten müssen, um überhaupt bei der Sozialhilfe
vorgelassen zu werden.
Meine Damen und Herren! Wir wissen alle, dass es in
Wien in den letzten Jahren sehr viel mehr Fälle, sehr viel mehr Menschen
gegeben hat, die anspruchsberechtigt auf Sozialhilfe sind. Das ist natürlich
mit auch ein Ergebnis der Politik der Bundesregierung, die Menschen arm macht.
Das wissen wir alle. Nichtsdestotrotz haben wir ein Gesetz zu vollziehen und
nichtsdestotrotz muss Wien die Mittel aufbringen, um tatsächlich helfen zu
können.
Ich kenne viele Menschen in Wien, die keine
Sozialhilfe erhalten, obwohl sie wirklich sehr, sehr arm sind. Und es ist
eigentlich so, dass das Sozialreferat da sehr richtig argumentiert und dass man
eigentlich sagen muss, das Sozialhilfegesetz gehört sehr, sehr rasch
reformiert, denn es befinden sich die Theorie und die Praxis in einem großen
Widerspruch zueinander.
Ich habe daher einige Anträge vorbereitet, die ich
jetzt einbringen möchte.
Der erste Antrag befasst sich damit, dass ich
fordere, dass der BezieherInnenkreis für die Sozialhilfe auf alle BewohnerInnen
Wiens ausgedehnt wird, unabhängig davon, welche Staatsbürgerschaft die Menschen
besitzen. Der Richtsatz sollte deutlich angehoben werden, sodass die Führung
eines menschenwürdigen Lebens tatsächlich gewährleistet werden kann. Und das
Personal im Fachbereich Sozialarbeit und Sozialhilfe sollte aufgestockt werden.
- Das ist mein erster Antrag. (Beifall bei den GRÜNEN.)
Mein zweiter Antrag ist einer, den die Wiener GRÜNEN
schon oft gestellt haben, und ich denke, wir werden ihn auch noch oft stellen.
Er befasst sich ausschließlich mit dem Problem, dass Menschen, die nicht aus
Österreich kommen, keinen österreichischen Pass haben und auch sonst in keine
Ausnahmebestimmung hineinfallen, ebenfalls Sozialhilfe bekommen sollen. Wir
haben diesen Antrag schon oft gestellt - Maria Vassilakou hat es in ihrer Rede
heute schon gesagt. Die Antworten waren durchaus ermutigend. Es wurde von
Seiten der Frau StRin Laska auch versprochen, dass die Sozialhilfe auf diese
Menschen ausgeweitet wird, und zwar schon gegen Ende der letzten
Legislaturperiode. Bislang ist das nicht erfolgt. Deswegen stellen wir
neuerlich den Antrag, dass das Prinzip der Gleichstellung aller in Wien
lebenden Menschen ungeachtet ihrer Staatsbürgerschaft auch dann angewendet
wird, wenn es um die Sozialhilfe geht.
Wir haben noch einen dritten Antrag vorbereitet, der
sich ebenfalls mit der Sozialhilfe befasst oder, besser gesagt, mit der
Überführung der Notstandshilfe in eine "Sozialhilfe neu". Ich denke,
ich brauche dazu nicht lange zu sprechen, denn die morgige Aktuelle Stunde wird
sich mit ebendiesem Problem befassen. Wir werden aber nichtsdestotrotz den
folgenden Beschlussantrag einbringen:
"Der Wiener Gemeinderat fordert die
Bundesregierung auf, von einer Überführung der Notstandshilfe in die
Sozialhilfe Abstand zu nehmen.
In formeller Hinsicht beantragen wir die sofortige
Abstimmung des Antrags."
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch ein
kleines bisschen Zeit dem Thema
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