Gemeinderat,
28. Sitzung vom 23.05.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 45 von 80
um Kriegsverbrecher gehandelt hat, oder sonstige Gründe
gegeben sind das zu widerrufen, nicht daran zu rütteln hat.
Das zielt eben nicht nur auf einen hervorragenden
Soldaten der herausragt und darum Gegenstand der Angriffe wird, sondern es
zielt natürlich auf die ganze Generation der Kriegsteilnehmer, auf die
Generation der Gefallenen, die zu Millionen gefallen sind. Die Absicht ist ja
völlig klar, es ist ein Nadelstich von vielen wie wir ihn seit vielen Jahren
erleben, nicht allein in dieser Stadt, sondern im ganzen deutschen Sprachraum.
Getroffen wird letztlich das Schicksal und auch das
Opfer ganzer Generationen, die von einem totalitären Regime misshandelt, und
die von einem totalitärem Regime zum Großteil in den Tod getrieben wurden.
Nowotny zum Beispiel war ein Jahrgang 1920, wie ich
gelesen habe. Er gehörte damit Jahrgängen an, die im Krieg zu 70, 80 Prozent,
so sie Soldaten waren, im Feld geblieben und gefallen sind. Verluste von 70, 80
Prozent, das sind Vorstellungen, für heute kaum denkbar. Wer kann sich von uns
vorstellen, wie es ausschauen würde, wenn aus unserem persönlichen
Bekanntenkreis von zehn sieben nicht mehr da wären, wo der Großteil eben einen
frühen Tod erlitten hat. Und hier Maßnahmen zu setzen, die letzten Endes auf
diese Menschen zielen, ist unverantwortlich. Schließlich ist auch Nowotny, wie
schon gesagt, mit 24 Jahren gefallen.
In dieser, wie ich glaube, Missachtung der
Kriegsgeneration liegt ja letzten Endes aber auch eine Missachtung gegenüber
der überlebenden Aufbaugeneration. Die meisten können sich heute nicht mehr
wehren, sie liegen auch schon am Friedhof, aber ich glaube, vor 10 oder 20
Jahren wäre ein solcher Antrag auch in Wien nicht möglich gewesen. Ich verweise
noch einmal auf die Antwort des Bürgermeisters Zilk und ich glaube eben, dass
diese Generation damals noch am Leben war und noch eine Stimme hatte, und dass
man sie nicht übergehen konnte.
Und was so empörend ist, das ist ein Angriff von
Nachgeborenen auf das Schicksal von Generationen, die ihre und unsere Heimat
wieder aufgebaut haben und ich möchte dazu sagen, wo es sich in diesem
geschaffenen Wohlstand auch grün, wie ich glaube, ganz gut leben lässt.
Alle Opfer, die ihr Leben in diesen Zeiten gegeben
und verloren haben, haben glaube ich, Anspruch auf unser Gedenken. Egal wann,
ob vor 1945 oder nach 1945, ob sie Verfolgte politischer, rassischer oder
religiöser Natur waren, ob sie Gefallene aller Seiten gewesen sind, ob es Opfer
des Bombenterror gewesen sind oder Opfer der Vertreibung. Ich glaube, aus einer
gesicherten und wohlhabenden Friedensgegenwart heraus ein Urteil zu bilden, wie
es sich in diesem Antrag darstellt, ist ein zutiefst kleinmütiges Verhalten.
Es trifft ja nicht einen Kriegsverbrecher, es trifft
auch nicht einen Verantwortlichen oder Entscheidungsträger irgendeiner
politischen oder ideologischen Art, wobei es für mich persönlich völlig egal
ist, ob er nationalsozialistischer oder faschistischer oder kommunistischer
Provenienz gewesen wäre. Es ist für mich zum Bespiel kein Denkmalsturm, eine
Erinnerungstafel, wie sie heute noch in Wien hängt für Stalin, entfernt zu
wissen, und ich frage mich eigentlich, - es geht uns in Wien nichts an, es ist
eine englische Sache - warum jemand wie Marshall Harris der Bomber-Harris, der
den Bombenkrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung organisiert hat, in England
noch eine Reihe von Denkmälern besitzt. Das ist doch sehr wohl in Frage zu
stellen.
Und wissen Sie, genau bei diesem Kampf gegen den
Bombenterror ist ja auch Walter Nowotny gefallen. (GR Dipl Ing Martin Margulies:
Geh, bitte!) Selbstverständlich, keine Frage! (GR Dr Herbert Madejski:
Du brauchst nicht teppert lachen, Margulies!) Das ist wieder typisch für
eine Generation die sich erheitert über die Opfer der Vergangenheit.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer (unterbrechend):
Herr Dr Madejski bitte! (GR Dr Herbert Madejski: Das ist ja unerhört!)
Herr Dr Madejski!
Stadtrat Johann Herzog (fortsetzend):
Es ist schlimm, es ist wirklich schlimm. Und ich glaube, dass sich der Antrag
nicht gegen Verbrecher richtet, nicht gegen – jetzt überspitzt formuliert – die
Massenmörder des 20. Jahrhunderts, er richtet sich nicht gegen die Monster
ihrer Zeit, gegen Hitler, Stalin, Lenin, Göbbels und so weiter, die Millionen,
zig-Millionen Menschen zu verantworten haben und deren Tod, der Antrag richtet
sich letzten Endes gegen einen Soldaten, einen knapp 20-jährigen, der wie so
viele andere nicht sehr, ja eher unpolitischer Natur war, wie die ganze
Generation, die waren nicht sehr politisch und wurden deswegen auch so leicht
verführt. Und 1941 schließt Nowotny, da er eben meiner Meinung und der Meinung
der Familie nach, kein NSDAP-Mitglied, einen Brief an seine Eltern mit den
Worten “Grüß Gott, Sieg und Heil sagen andere“.
Es geht also nicht meiner Meinung nach um eine
Rechtfertigung oder Beurteilung oder Diskussion damaliger Zeiten, es geht
einfach um die Menschen, die das Pech hatten, in dieser Zeit zu leben. Das
glaube ich, ist es. Und ich möchte daher mit einem Zitat schließen, das mich
recht beeindruckt hat und von einem französischen Kampfflieger stammt, der ihm
sozusagen gegenübergestanden ist. Es ist dies der französische Jagdflieger
Pierre Clostermann, der im Jahre 1944 selbst mit dem Jagdkommando zu
kämpfen hatte. Er stellte zum Tod Nowotnys in seinen Erinnerungen fest: “Walter
Nowotny ist gefallen. Unser Gegner vom Himmel über der Normandie und über
Deutschland. Wir sprechen von ihm ohne Groll und Hass. Jeder ruft in einem Ton
der Achtung, ja beinahe der Zuneigung die Erinnerungen wieder herauf, die uns
mit ihm verbanden. Es ist das erste Mal, dass ich diesen Ton in der Royal
air-force vernehme. Zum ersten Mal auch erlebe ich, wie sich eine merkwürdige
Solidarität zwischen allen Fliegern offen Ausdruck gibt. Eine Verbundenheit
jenseits der einzelnen Tragödien und jenseits aller Vorurteile. Wir grüßen
einen tapferen Feind, den das Schicksal ereilt hat, wir erklären Nowotny zu
einem der Unseren, der Teil hatte an unserer Welt, in der weder Ideologien noch
Hass noch Grenzen zählen.“
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