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Gemeinderat, 27. Sitzung vom 23.04.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 72 von 78

 

653 000 EUR wäre uns wirklich viel eingefallen. Dennoch bin ich Ihnen für die Anfragebeantwortung und für Ihre Ankündigungen davor insofern dankbar, weil Sie doch nach langem Nachdenken und einmaliger Nachgabe dieses eher flopartige Projekt rot-grüner Zusammenarbeit im Bereich Verkehrsmittel Fahrrad eingestellt haben. Es hat lange genug gedauert. Aber man kann einsichtig werden und kann es verbessern.

 

Ich bin Ihnen aber nicht deswegen dankbar, weil ich das Radfahren ablehne. Im Gegenteil. Ich bin selbst auch Radfahrer. Ich kann mir auch den Luxus leisten, drei Fahrräder für unterschiedliche Zwecke zu besitzen. (Raunen bei den GRÜNEN.) Ja, es ist so. Wer arbeitet, kann auch Geld ausgeben. Sport- und Freizeitfahrräder, aber auch ein Verkehrsmittel. Zwar ein altes, klappriges Waffenrad, drei Generationen bewährt, Rücktritt, Bremse, nur ein Gang vorwärts, aber in der Stadt ausreichend, früher auch ein Kultsymbol für Alternative. Man fragt sich eigentlich, warum gerade Linksalternative ein Waffenrad als Kultsymbol hatten? (GRin Dr Sigrid Pilz: Das Hollandrad war das!) Nein, meines ist - ich zeige es Ihnen gerne einmal - wirklich noch ein Steyr Waffenrad. (GR Mag Christoph Chorherr: Sind Sie ein Alternativer?)

 

Nein, Kollege Chorherr! Danke für diesen Zwischenruf. Ich möchte Sie nicht über Ihre Parteigeschichte belehren, aber wenn Sie in Ihrer Parteigeschichte nachschauen würden, würden Sie feststellen, dass der Günther Barnet in seiner Jugend mehrere politischen Gruppen ausprobiert hat und Mitbegründer der Grünen und Alternativen Studentenliste an der Universität ist. So alternativ war ich damals gerade noch. Deswegen ist auch das Radfahren eine Leidenschaft für mich. Aber ich verfolge nicht Ihre Verkehrspolitik, denn diese hat sich in diesem Fall nicht bewährt. Man braucht nämlich kein Gratisfahrrad, um Rad zu fahren, wo es einem wirklich ein Anliegen ist.

 

Daher möchte ich mich in dieser Rede ein bisschen mit der Frage beschäftigen und auf Sie eingehen. Sie haben die Gelegenheit, nachher zu replizieren, wo eigentlich der verkehrspolitische Zweck der Gratisfahrräder war, ob es nur ein teurer Werbegang war, weil 653 000 EUR im Gegenwert zu 2,4 Millionen Werbewert - ein Faktor vier -  nicht sehr hoch ist, oder ob es eine bestimmte Zielgruppe gegeben hat, die diese Fahrräder eigentlich hätte nutzen sollen, eine politische oder verkehrspolitische Zielgruppe, die tatsächlich den Weg zum Fahrrad findet.

 

Ich habe mich ein bisschen mit Ihrer Argumentation beschäftigt, mit einem Artikel in der "Presse", in dem Sie das bunte ViennaBike als Einstiegsdroge bezeichnet haben, um Leute zu motivieren, überhaupt Rad zu fahren. Ich sage Ihnen ehrlich, ich habe die Einstiegsdroge nicht gebraucht. Ich bin auch keiner, der - wie Sie in dem Interview angedeutet haben - das Fahrrad im Keller stehen hat und dann sagt: Da fahren jetzt auch ein paar andere mit dem Fahrrad und ich habe meines immer nur im Keller stehen. Jetzt hole ich es auch heraus." Zeigen Sie mir fünf Floridsdorfer oder fünf Wiener - ich bin ja nicht so, mir ist das völlig egal, ich bin kulant -, die nur deswegen, weil jemand anderer mit einem blauen "Nokia"-Fahrrad fährt, ihr altes Fahrrad wieder aus dem Keller holen, das sie sonst nicht genutzt haben und sagen: "Jetzt fahre ich." Wenn Sie mir fünf Wiener zeigen oder bringen, dann bin ich dankbar. (GR Mag Christoph Chorherr: Dann sind Sie nur dankbar?) Bitte, zeigen Sie jetzt nicht auf. Das klappt nicht mehr. Das klappt wirklich nicht mehr. (GR Mag Christoph Chorherr: Also was dann? Ich bringe Ihnen die fünf Wiener! Aber nur dankbar dafür zu sein ist billig! Fällt Ihnen nicht mehr ein?) Es fällt mir mehr ein. Wenn Sie mich reden lassen, komme ich auch zu dem Punkt.

 

Es ist nicht verwunderlich, Herr Kollege Chorherr, dass ab dem Mai mehr Leute Rad fahrend in Wien sichtbar werden. Das hat nichts mit dem Gratisfahrrad zu tun. Das hat einfach mit der Jahreszeit zu tun. Jeder, der wirklich Radfahrer ist, weiß, auf Schnee und Eis ist es kein Spaß, in der Kälte auch nicht. Wenn es wirklich schön ist, holt man im Mai das Fahrrad heraus. Im Mai gibt es nämlich stabile Wetterverhältnisse. Da endet die berühmte Wiener Schisaison, in der die Wiener ständig mit den Schiern unterwegs sind, weswegen wir sogar ein eigenes Gesetz haben. Es beginnt auch die Wassersaison. Der Herr Bürgermeister zeigt es uns jedes Jahr. Er war auch vom Fahrrad so begeistert. Er ist immer auf der Alten Donau präsent und bereitet sich monatelang darauf vor, mit dem Wirtschaftskammerpräsidenten auf der Alten Donau eine Runde im Elektroboot zu fahren. Ein wirklich sportiver Charakter, genauso wie beim Radfahren. Er lebt es uns vor. In Wahrheit ist es das Wetter. Im Mai fangen die Leute zum Radfahren an, aber nicht weil sie ein gratis "Nokia"-Fahrrad sehen, sondern weil halt das Wetter schöner ist und man dann wieder aufs Fahrrad steigt. Man macht sich nicht dreckig. Es ist angenehmer. Man schwitzt nicht so, weil man keine Jacke beim Radfahren anhat. Es ist einfach angenehmer und hat nichts mit den Gratisfahrrädern zu tun. Wenn Sie mir das Gegenteil beweisen, möchte ich mich Ihnen später anschließen. Vorläufig nicht. (GR Mag Christoph Chorherr: Ich will gar nicht, dass Sie sich uns anschließen! Darauf lege ich großen Wert!) - Ich habe Sie zum Glück sowieso verlassen, zumindest für mich zum Glück.

 

Welchen Zweck soll eigentlich das Rad als Verkehrsmittel haben? Das ist eigentlich die grundsätzliche Frage, Herr Kollege Chorherr. War es nur ein Werbegag oder soll es ein Verkehrsmittel sein, nicht nur ein elitäres Freizeitgerät im Sinne von Herrenreitern, wo man grundsätzlich sportlich sein muss und Zeit und Muse zum Radfahren haben muss? Soll es einen verkehrspolitischen Nutzen haben?

 

Diesen verkehrspolitischen Nutzen kann ich beim alten Projekt einfach nicht erkennen, und zwar schon allein deswegen, weil er sich überhaupt nicht mit den Außenbezirken beschäftigt hat. Das Gratisfahrrad gab es nur in der Innenstadt. Das Fahren außerhalb war sogar untersagt. Daher kann es weder ein alternatives noch ein ergänzendes Verkehrsmittel sein. Ich könnte mir schon vorstellen, dass es ein ergänzendes Verkehrsmittel sein könnte, wo man - der Herr Stadtrat hat es vorher

 

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