«  1  »

 

Gemeinderat, 27. Sitzung vom 23.04.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 30 von 78

 

Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Vorsitzende GRin Mag Heidemarie Unterreiner: Als nächste Rednerin ist Frau GRin Schmalenberg gemeldet. Ich erteile ihr das Wort.

 

GRin Mag Heidrun Schmalenberg (Klub der Wiener Freiheitlichen): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Sehr geehrte Frau Stadträtin! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Lassen Sie sich heute zu einer kurzen Zeitreise mitnehmen, drehen wir die Uhr nur um einige Tage nach vor. In wenigen Tagen wird hier unten auf dem Rathausplatz eine große Bühne aufgebaut sein. Es wird alles mit roten Nelken festlich geschmückt sein, und der eine oder andere von Ihnen wird im Sternmarsch auf den Rathausplatz zumarschieren (GRin Mag Sonja Wehsely: Geschlossen!), um den Lehrmeister der ganz reinen sozialdemokratischen Lehre zu hören. Ich meine nicht den Herrn Gusenbauer, der Ihnen vielleicht etwas von einem tollen Rotwein-Jahrgang 2002 erzählen kann, sondern ich meine selbstverständlich unseren Herrn Bürgermeister. Es werden rote Taschentüchlein geschwenkt werden, und Sie werden hören, wie Ihnen der Herr Bürgermeister erklären wird, dass das Schlimmste in Österreich die Freiheitlichen sind und dass das Schlimmste auf der Welt, global gesehen, der Neoliberalismus ist. (GRin Mag Sonja Wehsely: So wichtig seid ihr nicht, dass er über euch redet! Die Zeit ist vorüber!)

 

Noch ein Wort werden Sie hören, ein Wort, mit dem viele von uns vielleicht gar nicht viel anfangen können, nämlich das Wort "Shareholder Value".

 

Aber kommen wir mit der Zeitmaschine wieder zurück hierher in die 27. Sitzung des Wiener Gemeinderats zur Postnummer 48. Hier geht es heute auch um Neoliberalismus und um Shareholder Value. Neoliberal ist es nämlich, wenn man den Bürgern jenseits der Donau den Kanal unterm Haus wegverkauft, damit eine Gesellschaft in den USA, die extra für den Kanalkauf gegründet wurde, für ihre Gesellschafter einen ordentlichen Shareholder Value einfahren kann. Genau das, meine Damen und Herren, ist das Spannungsfeld, in dem sich die Wiener SPÖ befindet: zwischen sozialdemokratischem Anspruch und neoliberaler Realität.

 

Die Frage, wie man möglichst schnell an möglichst viel Geld kommen kann, gibt es ja seit Menschengedenken; der Gedanke, dafür die eigene Stadt zu verkaufen, ist allerdings ziemlich neu. "Cross Border Leasing", so heißt das Zauberwort, das die leeren Kassen füllen soll, und das amerikanische Steuerrecht macht es möglich, dass die Euro-Millionen gleichsam vom Himmel fallen. Da ist man doch bereit, den sozialistischen Anspruch kurz beiseite zu schieben, und hat kurzerhand das Kanalnetz im 21. und 22. Bezirk verleast. Warum gerade der 21. und 22. Bezirk drangekommen sind, das konnten wir bis jetzt noch nicht klären. Vielleicht können Sie uns das auch in dieser Sitzung sagen. (GR Heinz Hufnagl: Weil dort das Kanalnetz noch vervollständigt werden muss, wenn Sie sich ein bisschen umschauen!)

 

Wie sehen Cross-Border-Leasing-Transaktionen aus? - Im Grunde genommen handelt es sich dabei um zwei Rechtsgeschäfte: Das erste ist die Übereignung des Eigentums - die Stadt Wien übergibt also das Kanalnetz an einen amerikanischen Investor -, und gleichzeitig erfolgt die Rückmietung von diesem Investor. Der US-Investor streicht einen Steuervorteil ein, von dem er einen gewissen Prozentsatz an die Stadt Wien weitergibt.

 

Was auf den ersten Blick genial und einfach klingt und was für die Stadt einen dringend benötigten Geldsegen erhoffen lässt, ist bei genauem Hinsehen mit erheblichen Risken behaftet. Für mich ist diese Art von Transaktion ein juristisches und damit auch ein politisches Lotteriespiel, und ich sehe an Ihren Gesichtern und weiß aus der Diskussion im Umweltausschuss, dass auch Ihnen von den Sozialdemokraten dieser Umstand sehr wohl bewusst ist, denn auch für jeden Einzelnen von Ihnen sind die Risken dieser Art von Transaktionen unkalkulierbar. Sie haben nicht umsonst ein Wirtschaftstreuhänder-Unternehmen beauftragt, diese Geschäfte zu prüfen. Mit Erstaunen habe ich in der gestrigen "Presse" gelesen, dass selbst dieses Prüfungsunternehmen einräumt, dass die Stadt Wien Risken hat - welche Risken das sind, wird nicht angeführt -, wobei es heißt, dass diese gut abgesichert seien. Wie die Risken abgesichert sind, darauf wird auch nicht eingegangen.

 

Ich will Ihnen die Risken, die aus meiner Sicht und aus der Sicht meiner Fraktion bestehen, im Folgenden kurz aufzählen:

 

Befremdlich ist für uns erstens der Umstand, dass mit Abschluss dieses Vertrags amerikanisches Recht anzuwenden ist, dass amerikanische Gerichte zuständig sind und dass das ein Faktum ist, das nicht verhandelbar ist. Mein Vertrauen in die amerikanische Rechtsprechung hält sich eher in Grenzen.

 

Der zweite Punkt ist, dass diese Verträge, die in diesem Fall ungefähr 700 Seiten umfassen - meistens sind sie aber noch dicker -, in Englisch verfasst und geheim sind. Ich kann jetzt schon sagen: Wir werden dem Antrag der GRÜNEN zustimmen, dass diese Verträge auch in Deutsch aufzulegen sind. - Wenn wir Freiheitliche diesen Antrag eingebracht hätten, hätten Sie von den GRÜNEN wahrscheinlich nicht zugestimmt. Aber wie auch immer: Uns geht es um die Sache. Wichtig ist, dass jeder, der darüber abstimmen soll, die Materie versteht.

 

Der dritte Punkt ist die lange Laufzeit. Diese Verträge werden über mehrere Jahrzehnte abgeschlossen, und die langfristige Entwicklung der Rechtslage ist heute überhaupt nicht abschätzbar - für keinen von uns hier im Saal. Die Steuergesetzgebung in Amerika kann sich von heute auf morgen ändern, und die amerikanische Steuerbehörde hat schon wiederholt angekündigt, solche Arten von Transaktionen zu unterbinden, und zwar mit der Begründung, dass solchen Geschäften die ökonomische Substanz fehlt.

 

Ich bin der Meinung, sehr geehrte Damen und Herren, Wien hat genug Probleme. Für finanzpolitische Experimente, für Geschäfte, denen die ökonomische Substanz fehlt, besteht wirklich kein Bedarf!

 

Wenngleich Bgm Häupl so gerne den

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular