Gemeinderat,
27. Sitzung vom 23.04.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 12 von 78
Der Kern Ihrer Frage ist ein sehr berücksichtigungswürdiger.
Wir haben in vielen unserer Förderprogramme auch den Aspekt der Vermittlung. Es
wird von vielen Institutionen ernst genommen. Bei manchen Kunstschaffenden und
auch Institutionen ist allerdings ab und an tatsächlich die Tendenz bemerkbar,
dass man sagt, das Kunstwerk muss für sich sprechen und es bedarf dazu keiner
weiteren Vermittlung.
Ich glaube, dass wir diese Bemühungen noch
intensivieren werden und müssen, unter Umständen sogar darüber nachzudenken
haben, ob man eine Vorgangsweise wie in England wählen kann, wo bestimmte
Prozentsätze des Förderungsanteils oder der Förderungssumme für die Vermittlung
vorgesehen werden müssen. Ich habe davon bislang immer Abstand genommen, sage
ich ganz offen, weil so eine Dekretierung dann oft Gefahr läuft, in eine sehr
formalisierte Geschichte zu laufen. Aber ich nehme das gerne zum Anlass, das
noch einmal zu überdenken und auch in den Fördergesprächen verstärkt darauf
hinzuweisen.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte, Herr Dr Salcher.
GR Dr Andreas Salcher (ÖVP-Klub der
Bundeshauptstadt Wien): Sehr geehrter Herr Stadtrat!
Der Standpunkt der Volkspartei war hier immer ein klarer,
der, glaube ich, mit Ihrer Position, was das Formale betrifft, in
Übereinstimmung tritt, nämlich zu sagen, dass die Verantwortung für die Dinge,
die kulturell in der Stadt stattfinden, einmal primär bei den Intendanten zu
liegen hat, weil es bei den Künstlern vom Überblick her gar nicht anders geht.
Wenn dann allerdings ein Thema wie dieses, das sicher
ein Grenzfall ist, an die Öffentlichkeit kommt, dann hat der verantwortliche
Politiker - in dem Fall Sie - eine einzige Grenze abzuklären, das ist die
Grenze der Gesetze. Wenn gegen Gesetze verstoßen wird - Gesetze gelten auch für
Künstler -, dann hat der politisch Verantwortliche zu reagieren. In diesem Fall
gibt es einen schweren Vorwurf von den Freiheitlichen, den ich nicht werten
möchte, aber den Sie, glaube ich, als politisch Verantwortlicher werten müssen,
nämlich ob ein Verstoß gegen Gesetze vorliegt oder nicht.
Das möchte ich Sie fragen, wie Sie das gesetzlich
beurteilen.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte, Herr Stadtrat.
Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny:
Herr Gemeinderat!
Ich bin als Politiker sozusagen nicht der oberste
Interpret der Gesetze. Ich kann Ihnen nur in Beantwortung Ihrer Frage sagen,
dass die Kunsthalle eine angesehene Rechtsanwaltskanzlei mit der Beurteilung
der Frage beauftragt hat und diese ist negativ ausgefallen. Das Gutachten
lautet dergestalt, dass im gegenständlichen Fall keine Gesetze gebrochen
wurden.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte, Frau Mag Unterreiner.
GRin Mag Heidemarie Unterreiner (Klub
der Wiener Freiheitlichen): Herr Stadtrat!
In jeder Kultur geht man mit Toten mit sehr viel
Respekt und mit sehr viel Würde um. Das ist eine Grundvoraussetzung. Ich
wundere mich, wie sehr manche Teile unserer Gesellschaft schon so verblendet
sind, das sie nicht mehr spüren, wenn das nicht mehr vorkommt. In diesem Fall
sagen Sie, das ist ein Kunstwerk. Wir sagen, es ist eine Schändung der
Totenruhe. Sie empfinden da etwas ganz anderes als wir es bezeichnen. Ich bin
davon überzeugt, dass ein Großteil der Menschen, wenn sie in die Kunsthalle
gehen würden - ich war allein dort, sonst war kein Mensch dort, noch dazu
riecht es nach diesem abgenommenen Leichentuch, aber das ist eine andere Sache
-, das zutiefst und empört ablehnen würden, weil es nicht unseren Sitten und
Gebräuchen entspricht.
Ich würde sagen, weil Sie mich gefragt haben, wer
denn da ist, wen man denn noch nennen kann: Dr Matt ist zum Beispiel
mitverantwortlich. Auch er hat ein Gewissen. Auch er muss mit überlegen.
Wenn ich mit der Rechtslage begonnen habe, und man
wird sich mit dieser noch auseinander setzen müssen, so bleibt doch
letztendlich Ihre moralische Einstellung übrig, die als Kulturstadtrat auch
gefragt ist, wie Sie zu dieser Sache stehen, weil in unserem Kulturkreis wird
die Intimität des Sterbens und des Todes gewahrt und geachtet. Das ist in
diesem Fall wirklich nicht der Fall!
Jetzt frage ich Sie noch einmal, wie Sie in Zukunft
zu Pietätlosigkeit stehen werden und ob Sie aus diesem Fall Konsequenzen
ziehen.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer:
Bitte, Herr Stadtrat.
Amtsf StR Dr Andreas Mailath-Pokorny:
Frau Gemeinderätin!
Ich möchte Sie bei aller Übereinstimmung nur daran
erinnern, dass natürlich dem Tod mit Würde, so das möglich ist, zu begegnen ist.
Ich habe auch in meinem Eingangsstatement, das Sie offensichtlich nicht
akzeptieren wollten, darauf hingewiesen, dass aus der Sicht der Künstlerin das
jedenfalls der Versuch ist, unwürdigen Tod, so wie er in Mexiko oder in vielen
anderen gesellschaftlichen Situationen stattfindet, mit Würde zu begegnen. Das
ist die Form der Künstlerin. Man muss nicht ihrer Meinung sein, aber man hat
jedenfalls zu akzeptieren, dass das aus ihrer Sicht ihre Meinung ist.
Im Übrigen ist die Kunstgeschichte voll mit Auseinandersetzungen
sehr kritischer, wenn Sie so wollen, zum jeweiligen Zeitpunkt auch pietätloser,
Form - unter Anführungszeichen - mit dem Tod, aber auch mit dem menschlichen
Körper. Ich brauche Ihnen jetzt nicht alle einzelnen Fälle vom Wiener
Aktionismus bis heute aufzuzählen. Es gibt im Übrigen auch im Laufe der
Kirchengeschichte eine sehr reiche, intensive Auseinandersetzung damit.
Ich möchte es mit diesen Verweisen bewenden lassen
und jedenfalls darauf hinweisen, dass ich akzeptiere, dass die Künstlerin
versucht hat, auf ihre Weise einem würdelosen Tod Würde zu geben, einem
Anheimfallen der Gedächtnislosigkeit und des Vergessens wieder ein Gedächtnis
zu geben.
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular