«  1  »

 

Gedenksitzung vom 10.03.2008  -  Seite 8 von 10

 

natürlich nicht nur dort, lesen. Abermillionen Tote.

 

Es geht nicht nur um psychologische Erklärungsmuster, nicht einmal nur um die Massenpsychologie des Faschismus. Das System des Nationalsozialismus war viel komplexer. Jedes Mal, wenn ich mich auch gemeinsam mit jungen Freunden damit auseinandersetzen, mit den unvorstellbaren Opferzahlen, mit dem individuellen Schicksal, wird klar und selbstverständlich: Kein Mal erinnern, kein Mal gedacht ist zu viel im Sinne des „Nie wieder!".

 

Meine Damen und Herren! Wir alle, die wir heute hier versammelt sind, tragen für dieses „Nie wieder!" eine ganz besondere Verantwortung. Natürlich ist jede und jeder zur Wachsamkeit aufgerufen, aber Sie und auch ich, bei uns ist es ein wichtiger Teil unseres öffentlichen Auftrags.

 

Mit dem 12. März 1938 begann eine furchtbare Zeit, sieben Jahre Schrecken, Grausamkeit, Menschenverachtung, aber wir alle kennen auch die Vorgeschichte. Der 12. März 1938 kam nicht von ungefähr. Er folgte auf den Juli 1927, den Schattendorfer Prozess und dem Brand des Justizpalastes, auf das verhängnisvolle Jahr 1933, beginnend mit der Ausschaltung des Parlaments, und auf die Februar-Tage 1934. Die Demokratie war damals bereits seit fast einem Jahr abgeschafft, im Februar 1934 wurde gewählte Volksvertreter aus diesem Gemeinderat verhaftet oder an der Ausübung ihres Mandats gehindert. Es wurden Menschen erschossen und hingerichtet. Mit der Ausschaltung des Nationalrates und der verfassungswidrigen Verabschiedung der so genannten Mai-Verfassung wurden auch die Landes-Verfassungen aufgehoben. Erst 1945 setzte Wien wieder seine eigene Landes-Verfassung ein.

 

Meine Damen und Herren! Wir brauchen das Gedenken und wir brauchen ein ehrliches „Nie mehr wieder“-Gedenken dieser Tage des März über den März 1938 und der Jahre danach, aber auch der Jahre zuvor. Und genauso ist es wichtig, unsere Lehren daraus zu ziehen. In den Jahren vor 1938 war Österreich von außen bedroht, aber die Demokratie wurde von innen abgeschafft. Die unmittelbare Bedrohung sehe ich selbstverständlich heute nicht und auch keine unserer parlamentarischen Demokratie. Dennoch stellt etwa heute die Bedrohung des internationalen Terrorismus auch eine besondere Herausforderung für unsere Demokratie dar, für diesen Schutz der Menschen, aber auch den Schutz der Demokratie sind wir verantwortlich. Und das heißt, klar Stellung zu beziehen gegen antidemokratische Positionen und Tendenzen, diese aufzuzeigen und mit allen zur Verfügung stehenden demokratischen Mitteln gegen diese anzukämpfen, mit Worten, wenn notwendig mit Taten, vor allem mit Information und damit, so hoffe ich, eine Immunisierung jener Generation, die diese Ereignisse nur aus den Geschichtsbüchern kennt.

 

Das heißt aber natürlich auch für alle Demokraten, die Spielregeln der Demokratie einzuhalten, Verfassungsgesetze nicht zu biegen, Wahlergebnisse zu respektieren. Vor allem müssen wir im politischen Wettstreit Formen und Inhalte so bewahren, dass die Wählerinnen und Wähler nicht ihren Glauben und ihre Hoffnung in die Demokratie verlieren.

 

Meine Damen und Herren! Das vorsätzliche Missachten der Demokratie ist das eine. Ich gehe davon aus, dass niemand hier dies will und tut. Das andere ist ein schlampiger Umgang mit Demokratie und ihren Spielregeln. Diese Schlampigkeit ist viel schwieriger zu erkennen, denn sie verändert das demokratische Klima schleichend. Dieser Schutz der Demokratie vor unachtsamem Umgang, auch das ist ein wichtiger Teil unseres öffentlichen Auftrags, und Demokratie schützen, heißt selbstverständlich auch, ihre Institutionen nicht leichtfertig abzuwerten. Wer das Parlament als Theater bezeichnet, wird, wenn Augen zwinkernd die Wahrheit als Tochter der Zeit bezeichnet wird, so mögen dies medienwirksame Sager sein und ich gestehe, auch ich bin nicht immer frei davon, dennoch ist dies fahrlässig und damit auch unverantwortlich.

 

Und wir als Politiker und Politikerinnen müssen jeden Tag aufs Neue darauf schauen, welches Bild über Politik und politischen Diskurs wir den Wählerinnen und Wählern vermitteln. Es sollte nicht sein, dass Politik in der öffentlichen Wahrnehmung, in den Medien entweder als extremer Dauerstreit oder als Packelei transportiert wird. Es kann nicht sein, dass die mediale Inszenierung der politischen Streiterei eine ehrliche, offene Auseinandersetzung über politische Inhalte zunehmend unmöglich macht. Wir sind alle gefordert: Achten wir die Spielregeln und achten wir auf die Qualität unserer Auseinandersetzungen.

 

Meine Damen und Herren! Parteien stehen für Ideen und Ideale. Politiker sollten dies auch an- und aussprechen und sich nicht in die wohlfeile Beliebigkeit flüchten. Demokratie heißt, diese Ideale und Werte offen auszusprechen, Unterschiede klarzumachen und die Programme zur Wahl zu stellen. Zwischen den verschiedenen demokratischen Programmen soll und muss es Wettbewerb, ja, auch Auseinandersetzung geben. Das gefährdet nicht die Demokratie, sondern es stärkt sie. Ja, es macht Demokratie erst aus. Solange die politische Auseinandersetzung respektvoll und sachlich ausgetragen wird. Und das darf kein Lippenbekenntnis sein. Das ist ein Appell an uns alle, an Sie, aber natürlich auch an mich selbst.

 

Und ja, wir haben unterschiedliche Werte und Ideale, aber eines haben Demokraten und Demokratinnen gemeinsam, das Bekenntnis zur Demokratie und ihren grundlegenden Werten. Wir müssen im politischen Alltag diese Werte respektieren, aber wir müssen vor allem zusammenstehen gegen diejenigen, die dies nicht tun. Wahlen über Parteiprogramme und Werte sind das eine, aber es gibt Werte, die für alle Demokraten unzweifelhaft sind und sein müssen. Sie sollten keine Abstimmung benötigen. Menschenverachtung, Ausgrenzung und Verharmlosung faschistischer Regime können und dürfen nicht Teil eines gesellschaftlichen Grundkonsenses sein. Und gegenüber solchen Programmen darf es kein Taktieren geben, kein Lavieren und keine Sidesteps, da braucht es den Mut aufrechter Demokraten.

 

«  1  »

Verantwortlich für diese Seite:
Stadt Wien | Geschäftsstelle Landtag, Gemeinderat, Landesregierung und Stadtsenat (Magistratsdirektion)
Kontaktformular