Gedenksitzung
vom 10.03.2008 - Seite 7 von 10
Mauthausen; diese kurze Zeit war ich strafweise in einem Vernichtungslager in der Gaskammer. Als die Russen immer näher rückten, wurden die marschfähigen Frauen gegen Ende April auf die Todesmärsche getrieben, bewacht von den SS-Männern mit Hunden. Diese fürchten nichts mehr als die Rote Armee. Am 29. April gelang mir in der Dämmerung die Flucht. Viele Frauen sind bereits an der Schwelle zur Freiheit gestorben. Beim ersten Schritt in die Freiheit leistete ich eine Art Schwur, alles daran zu setzen, damit es in unserem Lande nie mehr zu einer politischen Situation kommt, die es ermöglichen würde, Menschen zu verfolgen, zu verhaften und in ein Konzentrationslager zu verfrachten.
Noch heute stehen wir – ja, das habe ich noch
vergessen, warum die Frauen ins Lager gekommen sind, also: Weil sie in einer
Partei politischen Widerstand geleistet haben, weil sie wegen ihrer Abstammung,
wegen ihrer Religion ins KZ gekommen sind oder ganz einfach deswegen, weil sie
sich in keine vorgeschriebene Organisation hineinpressen ließen, sondern nach
ihrer eigenen Art leben wollten.
Noch heute stehen wir, die ehemaligen Opfer,
fassungslos vor dem Leid der Menschen, die in das Räderwerk der
Kriegsmaschinerie geraten sind. Es ist für mich wichtig, die Erinnerung an die
Zeit ohne Gnade, wie wir sie nennen, wach zu halten und bin der Meinung, dass
sich die jungen Menschen mit der jüngsten Vergangenheit unseres Landes
auseinandersetzen sollten, damit sie vielleicht in Zukunft jene Ereignisse
verhindern könnten, die unsere Generation getroffen haben. Seit 30 Jahren
gehe ich als Zeitzeugin in die Schulen, von Retz bis in den Bregenzer Wald
haben mir viele junge Menschen zugehört.
Durch die Tätigkeit als Zeitzeugen kämpfen wir
Überlebenden gegen das Vergessen, gegen das Verdrängen und gegen das Leugnen
des Unvorstellbaren, des Unfassbaren, damit nie mehr einem Menschen Ähnliches
widerfährt.
Wir Überlebenden wollen den jungen Menschen wollen
wir raten, niemals den Boden der Demokratie, der Freiheit und des Rechtes zu
verlassen, denn das sind die höchsten Werte, die wir haben. Niemals mehr jenen
den Glauben schenken, die die Demokratie diffamieren, durch eine
Führergesellschaft ersetzen wollen. Das nationalsozialistische Regime war ein
verbrecherisches System, das über ganz Europa Not, Leid, Krieg und Vernichtung
brachte. - Danke.
(Applaus.)
Erster Präsident des Landtages für Wien Johann Hatzl:
Ich darf Frau Trksak recht herzlich für ihre Worte danken, noch dazu, nachdem
sie sich leider gestern verletzt hat, hat sie trotzdem gesagt, sie steht dazu, dass
sie heute hier sprechen wird, obwohl es ihr ein bisschen beschwerlich war,
heute hierher zu kommen. Lassen Sie mich aber namens des Hohen Hauses eines
sagen: Ihnen, aber auch den anderen Frauen und Männern, aber ganz besonders
Ihnen, danken wir, dass sie für uns gelebt haben. Danke schön.
Das EOS-Quartett spielte Felix Mendelssohn-Bartholdy,
Streichquartett Es-Dur, op 12, andante espressivo.
Erster Vorsitzender des Gemeinderates der Stadt Wien
Godwin Schuster: Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich darf den Herrn Landeshauptmann und Bürgermeister
der Bundeshauptstadt Wien um seine Ansprache bitten.
Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien Dr Michael
Häupl: Herr Gemeinderatsvorsitzender! Herr Erster Präsident des
Landtages! Hohes Präsidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Der März 2008 lässt für uns, die wir lange Zeit oder kurze Zeit
nach Ende des Krieges geboren wurden, Bilder auferstehen. Bilder von
marschierenden Soldaten, von SS-Einheiten, von jubelnden Massen, von einem
brüllenden Führer, aber auch Bilder von gedemütigten Menschen, vornehmlich
Juden, von verhafteten Widerstandskämpfern, von Zügen, die in die
Konzentrationslager abfuhren, von zusammengetriebenen, verzweifelten, sich
fürchtenden Menschen und von Verhaftungen, hier insbesondere politischer
Widerstandskämpfer. Bilder, die uns aufzeigen, dass ein Jahr später der Krieg
begonnen hat und wiederum sechs Jahre später mehr als 370 000
Österreicherinnen und Österreicher tot waren und diese Stadt weitgehend
zerstört, Armut und Elend geherrscht haben. Das war das Ende des Krieges, aber
auch das Ende des Nationalsozialismus.
70 Jahre, das ist fast ein Menschenleben heute,
noch immer gedenken? Das ist die Frage. Hat es Menschen gegeben, nein, es gibt
sie wohl mit Sicherheit, die dem kritisch gegenüberstehen und ich meine damit
gar nicht jene, die die Verbrechen des Nationalsozialismus relativieren,
kleinreden, aufrechnen wollen, die sich noch immer nicht vom Ungeist dieser
Zeit gelöst haben, sondern ich meine jene aufrechte Demokraten, wie ich betonen
möchte, die das Gedenken als Routine empfinden, erstarrt, als Pflichtübung.
Wenn dem so ist oder wäre, hätten diese Zeitgenossen auch recht; dennoch, wer
sich der Alternativlosigkeit der Demokratie, also der Demokratie als Wert an
sich, verpflichtet fühlt, darf die Verbrechen der Diktaturen des
20. Jahrhunderts nicht vergessen.
Am
5. März 1938 – es wurde betont – begann in Österreich eine Zeit, die uns
nach wie vor fassungslos zurücklässt. Eine Zeit voll Grausamkeit und Verneinung
jeder Menschlichkeit. Doch natürlich ist niemals die Zeit grausam und
unmenschlich, sondern es sind Menschen. Noch immer ist es schwer zu begreifen,
wozu manche fähig sind. Es erschüttert die Banalität des Bösen, absurd,
unwirklich und monströs. Es erschüttert die absolute Kälte, mit der Menschen
planmäßig ausgerottet wurden. Man kann nicht oft genug die Berichte aus den
Konzentrationslagern über die Greuel, die Deutsche und Österreicher angerichtet
haben in Osteuropa, aber
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