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Gedenksitzung vom 10.03.2008  -  Seite 9 von 10

 

Meine Damen und Herren! Nun kommt es: Eine der schärfsten US-amerikanischen Medienkritiker hat einmal gesagt. „Es ist die Aufgabe eines Intellektuellen, eine Lüge zu erkennen und durch die Wahrheit zu ersetzen." – Ich denke, dass dies heute auch für uns wichtig ist. Die Lüge der Diktatur und des Totalitarismus durch die Wahrheit der gelebten und auch respektvollen Demokratie zu ersetzen. – Ich danke Ihnen.

 

(Applaus.)

 

Erster Vorsitzender des Gemeinderates der Stadt Wien Godwin Schuster: Herr Bürgermeister, ich bedanke mich sehr für Ihre Wortmeldung.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Ehrengäste, aber insbesondere auch liebe Zeitzeugen aus einer Zeit, über die wir heute sprechen. Ihre Beiträge, die hier als Gedanken und persönliche Erlebnisse aus dieser Zeit gebracht worden sind, haben mich persönlich sehr sehr tief bewegt.

 

Mit dem Einmarsch der Truppen der Reichsdeutschen Wehrmacht am 12. März 1938 hörte nicht nur der Staat Österreich zu existieren auf, sondern dieser Tag steht auch und vor allem für die endgültige Zerschlagung der Menschenrechte, für politischen Terror gegenüber Andersdenkenden mit bis dahin nicht gekannten brutalen Mitteln. Das steht für Diktatur, für die Fortsetzung und Eskalation eines systematischen unfassbaren Vernichtungskrieges auch in Österreich gegen das jüdische Volk und bald darauf gegen einen Großteil der gesamten Welt.

 

Der 12. März 1938 steht aber auch für den Zusammenbruch der österreichischen Spielart des Faschismus, für die nicht erfüllte Hoffnung, mit Hilfe anderer Staaten die Eigenständigkeit des Landes bewahren zu können. Mit dem Einmarsch endete die eine und begann eine andere, noch grausamere Diktatur auf österreichischem Boden. Für viele ein durchaus vorhersehbarer Ablauf in der Geschichte. Denn die Ereignisse des 12. März 1938 können nicht losgelöst von den Ereignissen des Frühjahrs 1933 und des Februar und Juli 1934 in Österreich bewertet werden. Der Austrofaschismus war der erste, der Putschversuch der Nazis im Juli 1934 ein weiterer und die Okkupation Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich der endgültige Schritt in den leidvollen Abgrund. Am Ende standen weltweit 60 Millionen Tote, verwüstete Städte, Millionen und Abermillionen obdachlose, vertriebene und entwurzelte Menschen.

 

Ab 1. April 1938 begannen, vom Westbahnhof ausgehend, Gefangenentransporte und es wurde ja heute schon auch darauf hingewiesen, unter ihnen auch Politiker der Sozialdemokratie, der christlich-sozialen Partei, der Kommunisten und andere mehr, in die Kerker und Konzentrationslager der Nazis.

 

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde durch jene, die überlebt haben, aber auch jene, die den rettenden Sprung ins nicht faschistische Ausland gerade noch geschafft hatten und nach Kriegsende in ihre Heimat zurückkamen, die Zweite Republik gegründet. Dr Jurasek hat darauf hingewiesen. Aus den sich in der Ersten Republik unversöhnlich gegenübergestandenen politischen Gegnern wurden 1945 die gemeinsamen Baumeister der Zweiten Republik, die Gründer des wieder freien Österreichs, ihre Proponenten stellten das Gemeinsame über das Trennende. Sie hatten die Lektion verstanden und daraus gelernt: Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.

 

Die Demokratie, auch wenn sie in unserem Zeitalter und in unseren Breiten stark gefestigt scheint, ist ein fragiles Geschöpf. Man muss sie immer wieder mit Leben erfüllen, ihre humanistischen Grundwerte tagtäglich leben und allen Anfängen wehren, die darauf abzielen, ihre tragenden Fundamente, so zum Beispiel das allgemeine Menschenrecht, das freie, geheime Wahlrecht, die freie Meinungsäußerung oder die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Menschenwürde und Menschenrechte, meine geschätzten Kolleginnen und Kollegen, sind, egal der Herkunft der Menschen, ihrer Hautfarbe, ihrer religiösen Bekenntnisse, unteilbar wie ebenso das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wer das nicht akzeptiert, begibt sich auf einen gefährlichen Weg, auf dem zuerst der Dialog in Zweifel gezogen wird und dann Verbalradikalismus Platz greift. Wir haben heute auch schon von diesem gehört.

 

In den nächsten Stufen sind Vorurteile und falsche Behauptungen als Mittel, die Menschen gegeneinander auszuspielen und aufzuhetzen. In weiterer Folge mündet die psychische in physische Gewalt. Gerade einmal sieben Jahrzehnte sind es her, dass dieses Lehrbeispiel an Menschenfeindlichkeit in der realen Politik immer und überall und im Besonderen ausgeprägt schrecklicher Form Leitlinie einer Staatsdoktrin gewesen sind. Deshalb ist es so wichtig, jeden Anfängen faschistischen und nationalsozialistischen Gedankenguts zu wehren, gegenüber Verklärungen, gegenüber Versuchen, den Mantel des Vergessens über die damaligen Ereignisse zu stülpen, gegenüber Verharmlosung.

 

Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg hat gleichfalls in seinem Beitrag darauf hingewiesen, Geschichte zu leben, bedeutet auch, aus Erfahrungen zu lernen und den Dialog niemals abreißen zu lassen. Die Menschen immer und immer wieder zu informieren, sie unermüdlich aufzuklären, dass das Schüren von Ängsten, Vorurteilen, ungerechtfertigten Schuldzuweisungen, das Säen von Hass gegen anders Denkende, anders Aussehnende und anders Fühlende letztendlich nur den alles vernichtenden Sturm erntet.

 

Demokratie bedeutet auch und vor allem, die Trennung der Legislative, Exekutive und der richterlichen Gewalt nicht in Frage zu stellen. Dadurch zeichnen sich die demokratischen Staaten ja aus. Die Gewaltentrennung ist die entscheidende Grundlage ihrer Existenz. Wie ebenso nur die Einhaltung der Grundideale der Aufklärung und die in weiten Teilen darauf aufbauende Verfassung demokratischer Staatsgefüge eine Trennung zwischen Staat und Religion garantiert. Der demokratische Staat steht für Glaubens- und Meinungsfreiheit, aber nicht für die Freiheit, seine in Jahrhunderten

 

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