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Gedenksitzung vom 10.03.2008  -  Seite 5 von 10

 

Bildungswesen. Unterschützen war auch die Heimatgemeinde von Gauleiter Portschy, dem Kreisleiter Nicka und anderen hochrangigen Nazis.

 

Ich wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, ohne mehrheitliche Hilfe der Mehrheitsbevölkerung. Die kläglichen Wohnungen der Roma befanden sich außerhalb des Dorfes. Von einem hygienischen Wohnen keine Spur, keine sanitären Einrichtungen und elektrisches Licht. Die Armut war täglich unser Gast. Ein Hauch von Nationalsozialismus war immer vorhanden. Die Angst meiner Verwandten vor einer neuerlichen Verfolgung war stets gegenwärtig. Meine Frau ist Wienerin. Ich übersiedelte 1964 nach Wien. Hier fand ich Arbeit und den gesellschaftlichen Zugang. Ich gründete hier meine Familie, niemand nahm Anstoß an meiner Hautfarbe oder Abstammung. Das gab mir Kraft, um auch politisch tätig zu werden. Seit 1966 bin ich Mitglied der SPÖ und seit dem Jahr 2001 Bezirksrat in Döbling.

 

Ein großer Meilenstein in unserer Jahrhunderte alten Geschichte wurde im Jahr 1993 gesetzt. Wir wurden gesetzlich und rechtlich als sechste österreichische Volksgruppe anerkannt. Diese Anerkennung ist beispielgebend für ganz Europa. Es gibt in Europa kein zweites Land wie Österreich, das uns das erste Mal in unserer langen Geschichte Schutz gibt. Die Geschichte meiner Familie reicht bis in das Jahr 1650 zurück, wo wir Sarközi einem Grafen von Bernstein als Söldner dienten -von wegen wanderndes Volk.

 

Seit der Anerkennung als Volksgruppe haben wir mit Hilfe der öffentlichen Hand sehr viel nachholen können. Vor allem im Bereich der Bildung, Arbeit, Wohnen, Gesundheitswesen wurden hier große Verbesserungen erzielt. Nicht ganz ohne Stolz erwähne ich bei den Tagungen oder Vorträgen im benachbarten Ausland, dass wir in Wien einen Roma-Platz, einen Sinti-Weg und einen Lovara-Weg haben. Ich kenne keine andere Stadt in Europa, die eine Verkehrsfläche nach unserer Volksgruppe benannt hätte. Damit will ich nicht sagen, dass alles erfüllt sei. Eine gewisse Gleichgültigkeit verspüre ich trotzdem, ich will nicht begreifen, dass wir Roma unter den Opfergruppen am schlechtesten gestellt sind. Nicht jeder Förderantrag wird ausreichend und einstimmig beschlossen. Wir sind Bürger dieser Stadt, dieses Landes und das mehr als 350 Jahre.

 

Große Sorgen bereiten mir die Lebensumstände meiner Volksgruppenangehörigen in den EU-Staaten und darüber hinaus. Millionen Menschen leben dort nahezu ohne jegliche Zukunftsperspektive, ohne Hoffnung auf ein besseres Leben. Die einen flüchten aus dem Kosovo, die anderen verlassen aus Armut ihre Heimat in Richtung der reichen EU-Länder. Sie landen nicht selten als Bettler auf der Straße. Ich weiß, das Betteln ist für keine Stadt ein schöner Anblick, aber besser noch, als kriminell zu werden. Jahrelang warten sie oft in Asylheimen auf ihr Asylverfahren, sie werden oft Gegenstand politischer Auseinandersetzung; noch schlimmer ist es, wenn es zu Übergriffen und zu einem tödlichen Ausgang kommt.

 

Ich habe mir meine Gedanken darüber gemacht und die Frage gestellt, wie sieht die Zukunft der Roma in Europa aus. Die Antwort muss die Politik gemeinsam mit den betroffenen Ländern geben. Eine internationale Konferenz mit Einbeziehung der betroffenen Länder der EU und dem Europarat könnte in Wien stattfinden. In Anbetracht, dass 2009 ein neues EU-Parlament gewählt wird und neue Kommissare bestellt werden, muss die Frage jetzt beantwortet werden. Bis sich ein Erfolg einstellt und sichtbar wird, benötigen wir mindestens 20 bis 25 Jahre, ein Kommissar oder eine Kommissarin sollte die Antwort dafür übernehmen. Das Konzept für diese Konferenz habe ich bereits im Bundeskanzleramt und im Parlament abgegeben. Ich hoffe auf eine positive Antwort. Helfen Sie mit, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass die Roma in Europa eine bessere Zukunft haben.

 

Joan Juarez Ramirez Edia – ein Abgeordneter des spanischen und europäischen Parlamentes – selbst ein Roma, sagte in einem Interview: „Gibt es ein Leben außerhalb des Staates, ja, die Roma. Sie leben in allen Ländern Europas, sie sehen keine Grenzen, sie wollen keinen Staat und sie haben in so vielfacher Weise zu unserer Kultur beigetragen. Roma sind die wirklichen Europäer. Wir haben so viele Dinge über sie zu lernen, sie sind die Seele Europas." – Danke.

 

(Applaus.)

 

Erster Präsident des Landtages für Wien Johann Hatzl: Ich darf Prof Sarközi recht herzlich für seine Worte danken und auch ihm versichern, diese Bemühungen und diese Anstrengungen, die die Volksgruppe der Roma und Sinti in Österreich und in Wien unternimmt, sind auch unsere Bemühungen und unsere Anstrengungen. Hier kann es nichts geben, das uns trennt oder in Zukunft trennen darf.

 

Hohes Haus!

 

Ich darf mit besonderem Dank dem nächsten Redner bereits danken, heute zur Verfügung zu stehen, Herrn Oberrabbiner Eisenberg, unter anderem er repräsentiert er, wie Sie alle wissen, eine Gruppe, wo man sich eigentlich heute, lassen Sie es mich so ausdrücken, fast sagen muss, wie war es möglich, dass doch noch einige bei dieser bestialischen Idee und Art überleben konnten. Herr Oberrabbiner, ich bitte Sie zum Wort.

 

Oberrabbiner Prof Paul Chaim Eisenberg: Herr Präsident! Herr Bürgermeister! Herr Altbürgermeister! Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Ich habe mir nicht die Zahlen und die Umstände der Verfolgung der Juden in Österreich genau herausgeschrieben, ich gehöre zu der Generation, die schon nach dem Krieg geboren ist, trotzdem nur zwei Zahlen.

 

Vor der Schoah gab es cirka 180 000 Juden in Österreich und wir wissen von etwa 65 000 Ermordeten. Wenn dann nach der Schoah nur etwa 2 000 in Österreich gelebt haben, dann heißt das, dass sehr viele es auf irgendeine Weise geschafft haben zu fliehen, herausgeworfen wurden oder sich ganz einfach durch die Flucht gerettet haben. Und mich beschäftigt weniger die Frage dessen, was damals passiert ist, es wurde hier schon

 

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