Gedenksitzung
vom 10.03.2008 - Seite 4 von 10
Wehrmacht, des Kriegsgerichtes zu langjährigen Kerkerstrafen, zum Teil auch zum Tod verurteilt worden. Über das Schicksal der durch Abstammung Getöteten und Verfolgten wird wohl ein Berufenerer reden als ich.
Von den 800 000 nicht ganz freiwillig zur
Deutschen Wehrmacht Eingerückten sind mindestens 10 Prozent nicht mehr
heimgekehrt. Vieles ist durch Bombenhagel zugrunde gegangen, die Infrastruktur
war schwerstens zerstört. All diese Opfer scheinen die Alliierten bewogen zu
haben, schon im Jahre 1941 in England und den USA festzustellen, dass
Österreich eines der Opfer Adolf Hitlers gewesen ist. Die gleiche Feststellung
wurde getroffen in der so genannten „Moskauer Deklaration“ zwei Jahre später,
auch hier hieß es: „Österreich war das erste Opfer der nationalsozialistischen
Aggression." Im Urteil des Nürnberger Prozesses im Herbst 1946 ist
dasselbe festgestellt worden. Österreich war also primär Opfer. Mittäter war
nicht Österreich, sondern Leute aus Österreich.
Ich appelliere namens unserer Opfer, im eigenen Namen
an Sie, meine Damen und Herren, die den Schrecken des Nationalsozialismus nicht
mehr erlebt haben, dafür zu sorgen, dass sich nie wieder ein so
menschenverachtender Klüngel bei uns einnisten kann und da auch dafür zu
sorgen, dass wir weiter leben können in einem freien, demokratischen und
unabhängigen Österreich. Danke.
(Applaus.)
Erster Präsident des Landtages für Wien Johann Hatzl:
Ich darf Herrn Dr Jurasek für diese sehr deutlichen, klaren und ergreifenden
Worte recht herzlich danken und ich glaube, im Namen des Wiener Landtages und
des Gemeinderates zu sprechen, wenn ich den Opferverbänden und den Opfern in
Wirklichkeit sehr sehr garantieren kann, dass das, was Ihr Appell war, bei uns
nicht ungehört verbleibt.
Hohes Haus!
Es spricht nun Prof Sarközi, der Vorsitzende des
Volksgruppenbeirates der Roma, als einer, der in diese Zeit hineingeboren
wurde.
Prof Rudolf Sarközi: Sehr geehrter Herr
Landtagspräsident! Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Werte Stadträte,
Stadträtinnen! Sehr geehrte Landtagsabgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
Am 12. März 1938 marschierte die Deutsche Wehrmacht
in Österreich ein. Die Republik Österreich hörte auf zu existieren und sie
wurde zur Ostmark, die Bundesländer zu Gauen. Mit der Machtergreifung durch die
Nationalsozialisten begann die Verfolgung und Verschleppung und Ermordung der
Juden sowie der Roma und Sinti. Die Erfassung der Roma und Sinti begann schon
bereits 1933 durch das Anlegen von Rassenkarteien und einem Festsetzungserlass;
belegt mit Schulverbot und mit dem Berufsverbot zu musizieren. Als asozial und
nach dem Nürnberger Rassegesetz als artfremdes und europafremdes Blut
bezeichnet, begannen die ersten Verhaftungen. Die 11 000 in Österreich
lebenden Roma und Sinti, die ersten Transporte gingen nach Dachau, Mauthausen
und Ravensbrück.
Am 29. Juni 1939 gehörte meine Mutter, mit
17 Jahren jung, zu jenen von mehr als 400 Frauen und Mädchen, die
nach Ravensbrück verschleppt wurden. Verschleppt zur Zwangsarbeit, zu
medizinischen Versuchen, zu Massensterilisierungen. Sie wurden wie Sklaven
gehalten und lebten in Angst und fragten sich täglich, wann werde ich die
Nächste in der Gaskammer sein. Ihnen wurde die Würde geraubt.
1943 wurde meine Mutter von Ravensbrück in das
Zigeunerlager Lackenbach überstellt, wo ich 1944 geboren bin. Das KZ Lackenbach
wurde am 23. November 1940 errichtet. In Lackenbach wurden insgesamt
4 000 Roma und Sinti interniert, die von dort nach Lodz und Auschwitz in
die Vernichtung gebracht wurden. Nur 300 bis 400 Häftlinge erlebten die
Befreiung im April 1945.
Im Dezember 1941 bis Jänner 1942 wurden in Lodz
5 007 österreichische Roma und Sinti ermordet. Unter den Opfern waren
meine Großeltern Stefan und Katharina Sarközi, die ich nie gesehen habe. Lodz
überlebte keiner. Meine Eltern und ich überlebten den nationalsozialistischen
Wahnsinn. In Lodz enthüllten Dr Helmut Zilk und ich 2005 die Gedenktafeln
für die österreichischen Juden und Roma. Lodz wurde zum Teil meiner
Lebensgeschichte. Die Gemeinde Wien stellte für diese Gedenkstätte
100 000 EUR zur Verfügung.
Anfang 1943 gingen 2 700 österreichische
Roma und Sinti auf den Transport nach Auschwitz, in der Nacht vom 2. auf den
3. August wurde in Auschwitz/Birkenau das so genannte Zigeunerlager
aufgelöst. In dieser Nacht wurden fast 3 000 Menschen einer
Volksgruppe ermordet. Rund 22 000 Roma und Sinti aus elf europäischen
Ländern kamen nach Auschwitz, überlebt haben nur wenige. Insgesamt haben wir
500 000 Opfer in ganz Europa zu beklagen. Zahlreiche europäische
Roma-Organisationen gedenken gemeinsam alljährlich am 2. August in
Auschwitz/Birkenau bei unserem Mahnmal unserer toten Menschen. Weitere
Kundgebungen von Roma und Sinti-Gedenkstätten finden jährlich in der Stadt
Salzburg, in Mauthausen und in Lackenbach statt.
Der Forschungsauftrag, die namentliche Erfassung der
im Nationalsozialismus ermordeten österreichischen Roma und Sinti, welcher vom
Kulturverein österreichischer Roma initiiert wurde, steht vor dem Abschluss.
Von den 11 000 österreichischen Roma und Sinti haben 9 000 nicht
überlebt. Das Ergebnis soll Aufschluss über jedes einzelne Opfer geben, wohin
sein letzter Weg gegangen ist. Dies ist auch für die Kinder und Enkelkinder der
Opfer von großer Bedeutung. Die Erfassung ist einmalig und wurde nur in
Österreich durchgeführt.
Ich
bin in Unterschützen, einer kleinen Gemeinde im südlichen Burgenland aufgewachsen,
es ist die Heimatgemeinde meiner Familie. Von den 139 Roma aus
Unterschützen haben nur 11 überlebt, die auch zurückgekehrt sind. Der Alltag
nach 1945 war noch immer von Rassismus und Ausgrenzung geprägt. Es gab keinen
ordentlichen Zugang zur Gesellschaft, zum
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