Gedenksitzung
vom 10.03.2008 - Seite 3 von 10
werden. Bleiben wir wachsam, bleiben wir aber auch dankbar jenen, die alles, was sie hatten, im wahrsten Sinne des Wortes, gegeben haben, um die Verbrechen von 1938 bis 1945 zu verhindern.
Ich möchte mit den Worten des früheren
Landtagspräsidenten und Bürgermeisters Bruno Marek schließen, der im
März 1963 bei einer ähnlichen Gedenksitzung sagte: „Wir gedenken in tiefer
Ehrfurcht jener Millionen Opfer, vor allem jener Hunderttausender Österreicher,
die in ihrer Heimat Qualvolles erlitten haben. Ihre Schuldner bleiben wir unser
Leben lang." – Danke.
(Applaus.)
Das EOS-Quartett untermalte mit Dimitri
Schostakowitsch „Zum Gedenken an die Opfer des Faschismus und des
Krieges", Streichquartett Nr 8, C-Moll, op 110, largo.
Erster Präsident des Landtages für Wien Johann Hatzl:
Ich darf nun Herrn Dr Jurasek namens der Opferverbände bitten, das Wort zu
ergreifen.
Vizepräsident i R Dr Hubert Jurasek:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Herr Landtagspräsident hat für meinen Vortrag
schon den geschichtlichen Hintergrund geliefert. In acht Minuten über den
Widerstand zu sprechen, ist unmöglich; ich kann mich nur auf einige, besonders
wichtige Sachen beschränken.
Zuerst eine kurze Vorstellung von mir.
Als Jahrgang 1920 bin ich einer der wenigen noch
lebenden Zeitzeugen und musste die Bestialität, möchte ich sagen, der Nazis nicht
nur erleben, sondern auch erdulden. Kurz nach der Matura, am 9.7.1938, bin ich
von der Gestapo verhaftet worden wegen Mitgliedschaft zu einer der ersten aus
dem katholischen Lager stammenden Widerstandsgruppen, dem Gefangenenhaus des
Landesgerichtes eingeliefert worden; es wurde über mich die Ermittlungshaft
wegen Hochverrat am deutschen Volk verhängt. Alle, die mit dieser Zeit vertraut
sind, wissen, dass ich ein Riesenglück gehabt habe, mit dem Leben davonzukommen
und am 23.1.1939 enthaftet zu werden.
Ich wurde dazu auserkoren, namens der
Arbeitsgemeinschaft der Widerstandskämpfer zu sprechen. Diese
Arbeitsgemeinschaft ist eine lose Zusammenarbeit zwischen den drei einzelnen
laut Opferfürsorgegesetz 1945 genannten Verbänden, nämlich der ÖVP-Kameradschaft
der politisch Verfolgten und Bekenner für Österreich, der ich seit langen
Zeiten vorgestanden bin, dem Bund Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und
Opfer des Faschismus und Kämpfer gegen den Faschismus und dem KZ-Verband.
Von allen diesen dreien sind, nicht nur von diesen,
sondern von allen politisch wichtigen Köpfen, gleich am Anfang die maßgebenden
Männer, wie Herr Landtagspräsident erwähnt hat, verhaftet worden; von diesen
sind am 1.4.1938 150 Personen ins KZ-Dachau transportiert worden. Unter
diesen haben sich unter anderem befunden: die kommenden Bundeskanzler Figl und
Gorbach, auf Seiten der Sozialisten der Kommandant des Schutzbundes Eifler, ein
Vertreter der Gewerkschaften – Entschuldigung, wenn ich nicht alle Namen kenne
und mir merken kann – und weiters Soswinski und Teile des Zentralkomitees der
KPÖ.
Eine der ersten Widerstandstaten, möchte ich sagen,
ereignete sich am 7.10.1938 auf dem Wiener Stephansplatz. Nach einer Andacht
sind teilnehmende Burschen und Mädchen, vorwiegend im Jugendalter, geschätzt
auf zirka 7 000 bis 10 000, dort verblieben und haben folgende Rufe
angestimmt: „Unser Führer heißt Jesus Christus." Eine Provokation der
Nazis. Das war die einzige unter freiem Himmel stattgefundene antinazistische
Kundgebung im gesamten deutschen Reichsgebiet.
Einer der wichtigsten Widerstandskämpfer und der
mutigsten war Fritz Molden, aus der Deutschen Wehrmacht desertiert – übrigens
der Sohn von Paula von Preradovic, der Dichterin der Bundeshymne – der 1944 mit
Hilfe italienischer Partisanen, die eher links gestanden sind, mehrmals die
schweizerisch-italienische Grenze überschreiten konnte und dabei Kontakt mit
dem amerikanischen Geheimdienst aufnehmen konnte. Zum Teil auch mit Hilfe
dieses Geheimdienstes ist es unseren Leuten in Tirol gelungen, selbstständig
das nazistische Joch abzuschütteln, wobei besondere Verdienste der
militärischen Widerstandsgruppe zugekommen sind unter Führung des damaligen
Leutnants und späteren Botschafters und Staatssekretärs Steiner, der nach
Ausschaltung der Kommandostruktur der Deutschen Wehrmacht in Innsbruck in den
Abendstunden des 2. Mai 1945 mit einer Art Stoßtrupp die auf der
Hungerburg tafelnde NS-Prominenz gefangen genommen hat und so ermöglicht hat,
dass tags darauf die Amerikaner in das schon rot-weiß-rot geschmückte Innsbruck
einziehen konnten.
Eine weitere wichtige Widerstandsgruppe auf der
militärischen Seite, denn nur die haben letztendlich die Möglichkeit gehabt,
auch aktiv und mit Waffengewalt aufzutreten, war die Widerstandsgruppe im
Wehrkreis XVII unter den Majoren Szokoll und Biedermann. Diese entwarfen unter
dem Code „Unternehmen Radetzky" einen Plan an die Sowjets, dafür zu
sorgen, dass die Wasserversorgung nicht gestört wird, dass Wien nicht
bombardiert wird und die Möglichkeit zu geben, dass die noch in Wien stehenden
Verbände der Deutschen Wehrmacht, hauptsächlich SS-Verbände, durch eine Lücke
in der Umschließung herauskommen könnten, damit nicht jene verzweifelten Kämpfe
entstehen, die es in Budapest gegeben hat und Budapest fast völlig zerstört
haben.
Es ist selbstverständlich, dass
ein Widerstand gegen so ein Blutregime wie die Nationalsozialisten ohne
Hekatomben von Menschenleben nicht möglich war. Die mir zur Verfügung stehenden
Zahlen: Es sind cirka 25 000 bis 30 000 zum Teil mit, zum Teil ohne
gerichtliches Urteil in den KZs und Gerichten und vor allem in den
Gestapo-Gefängnissen umgebracht worden. Mindestens einige Tausende mehr sind
durch Urteile der Deutschen
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