Gemeinderat,
14. Sitzung vom 20.11.2006, Wörtliches Protokoll - Seite 5 von 108
Ich halte das auch deswegen für etwas realitätsfremd,
weil man gleichzeitig davon ausgehen muss, welches Wirtschaftswachstum jetzt in
Osteuropa stattfindet und dass zum anderen Facharbeiter aus Osteuropa in nicht
unwesentlicher Zahl mittlerweile emigriert sind, und zwar vor allem auf die
britischen Inseln ausgewandert sind. Das ist eine Tatsache, und beides zusammen
macht natürlich einen Unterschied aus gegenüber der Situation in den 70er
Jahren, als man damit rechnen konnte, dass man in einem wirtschaftlichen
Aufschwung auf Arbeitskräfte aus Osteuropa zurückgreifen konnte.
Ich glaube, man muss dieser Forderung auch deswegen entgegentreten,
weil es eine verlockende Droge ist zu sagen: Wir brauchen uns um die Ausbildung
der eigenen Leute nicht zu kümmern, denn im Notfall können wir sowieso auf
andere Arbeitskräfte zurückgreifen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, an
einer Facharbeiterausbildungs-Offensive in Österreich führt kein Weg vorbei!
Vor diesem Hintergrund ist es unser Ziel, das Ziel
der Budgetpolitik für 2007, durch ein Rekord-Investitionsvolumen den
Konjunkturaufschwung mitzutragen und zu stärken sowie zum anderen auch die
Grundlage für notwendige Strukturreformen zu schaffen. Damit wollen wir, meine
sehr geehrten Damen und Herren, den Standort Wien mit dem Umfeld der Vienna
Region und mit dem besonderen Projekt, dem eigentlich stellvertretend auf den
zentraleuropäischen Wirtschaftsraum ausgerichteten Projekt als Twin City
weiterentwickeln und auch für den Fall absichern, dass sich der Konjunkturwind
wieder dreht und wir plötzlich nicht mehr mit steigenden Einnahmen rechnen
können. Daher soll jetzt auch für diesen Fall vorgesorgt werden.
Was die Zukunft Wiens als Wirtschaftsstandort
betrifft, so hängt aus meiner Sicht das Schicksal nicht von einer Lizitation
des Lohnniveaus nach unten ab, und wir können die Situation auch nicht in einem
Steuersenkungswettbewerb gewinnen. Entscheidend ist in Zukunft noch mehr das
Innovationspotenzial des Standorts, die Qualität, die Produktivität der Wiener
Wirtschaft, und damit kommt es zu einem sehr wesentlichen Teil darauf an, wie
viele optimal ausgebildete, zukunftsorientiert ausgebildete Menschen in der
Lage sein werden, zu diesem Wirtschaftswachstum beizutragen, einem
Wirtschaftswachstum, das wir gerade dann brauchen, wenn wir in unserer
Gesellschaft niemanden zurücklassen wollen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es kommt damit
sehr wesentlich auf die Qualität unseres Bildungssystems an, angefangen von den
Hochschulen, die in den letzten Jahren eigentlich ohne ausreichende finanzielle
Flügel quasi für flügge erklärt und eher lieblos aus dem Nest hinausgeschaukelt
worden sind, über die Fachhochschulförderung, von der ich den Eindruck habe,
dass sie in der letzten Zeit eher zurück- als ausgebaut worden ist, über den
gesamten Schulsektor und auch die Entwicklung in den Kindergärten - ich
erinnere daran, dass Wien das erste und bisher einzige Bundesland ist, das
einen Bildungsplan für die Kindergärten entwickelt hat - bis hin zur
Facharbeiterausbildung.
Auch wenn die Zahl der Lehrstellensuchenden mit Ende
Oktober gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen ist, so gibt es noch
immer zu viele Jugendliche und junge Menschen, die eine Lehrstelle suchen und
in dieser Form keinen Ausbildungsplatz finden. Wir haben bereits vor dem Sommer
für diese Situation im Herbst vorgesorgt; „wir" heißt in diesem Fall
Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Gewerkschaft, Industriellenvereinigung Wien,
AMS, WAFF, auch der Stadtschulrat und der Lehrlingsbeauftragte Kommerzialrat
Blum. Wir haben hier ein Konzept entwickelt, für das die Stadt Wien
12,5 Millionen EUR bereitstellt, und wollen damit gewährleisten, dass
jeder Jugendliche, der eine Ausbildung sucht, entweder eine für ihn geeignete
Lehrstelle findet oder auf einem Lehrstellenstiftungsplatz ausgebildet werden
kann oder zumindest einen Lehrgangsplatz findet, der eine durchgehende
Ausbildung bis hin zum Lehrabschluss ermöglicht.
Das ist unsere Zusage, und ich glaube, dass es
wichtig gewesen ist, dass wir in diesem Programm auch Lehrlingsstiftungsplätze
anbieten - es sind immerhin insgesamt 1 070 auf diese Weise finanziert
worden - und dass wir im Rahmen dieses Lehrlingsstiftungsprogramms auch einen
Teil reserviert haben für Ausbildungsinhalte, von denen wir der Meinung sind,
dass sie zukunftsorientiert sind, wobei es aber in Wien und auch in ganz
Österreich eigentlich zu wenige Betriebe gibt, die auf dieser Schiene bereits
in der Lage sind, eine Ausbildung durchzuführen. Es gibt zukunftsorientierte
Bereiche, und dort gibt es natürlich Klein- und Kleinstunternehmen, denen es
aber schwerfällt, bereits in dieser Phase der Entwicklung eine Lehrstelle anzubieten.
Das halte ich für einen entscheidenden Qualitätspunkt.
Gestatten Sie mir bei dieser Gelegenheit eine
persönliche Anmerkung zu Herrn GR Madejski. Herr Gemeinderat, Sie haben für die
Gemeinderatssitzung eine Anfrage an den Bürgermeister eingebracht, in der Sie
mir quasi unterstellen - gestützt, glaube ich, auf eine Meldung in den Medien
-, dass wir jedem Jugendlichen eine Lehrstelle garantieren. Das tun wir
natürlich nicht, sondern das, was ich hier gesagt habe, ist, dass wir
sicherstellen wollen, dass jeder jugendliche Mensch, der sich ernstlich um eine
Ausbildung bemüht, auch tatsächlich eine Ausbildung bekommen soll und auch
bekommen wird. Das ist die Garantie, die wir geben. Es soll kein Jugendlicher
in Wien auf der Straße stehen, nur weil es keine geeignete Ausbildung gibt. (Beifall bei der SPÖ.)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich teile aber auch
die Einschätzung des Instituts für Höhere Studien. Vor wenigen Tagen hat der
Chef des Instituts, Felderer, in einer Aussendung auf etwas aufmerksam gemacht,
was mittlerweile auch Gegenstand unserer internen Beratungen ist, nämlich dass
die Zahl der jugendlichen Drop-outs zunimmt. Das Institut für Höhere Studien
schätzt, dass in Österreich jährlich rund 7 500 jugendliche
Aussteiger aus dem Schulsystem oder aus dem Arbeitsmarkt praktisch
herausfallen; die Zahl konzentriert sich naturgemäß vor allem auf die Städte,
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