Gemeinderat,
35. Sitzung vom 25.11.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 91 von 120
Vorhinein für die positive Erledigung, dass das
Bike-Festival auch im nächsten Jahr wieder stattfindet. (Beifall bei den
GRÜNEN.)
So wenig heute zum Radverkehr.
Lassen Sie
mich nun auf einige Grundentwicklungen der Stadtplanung eingehen. Wir
diskutieren viel zu wenig, was sich rund um den 24. Bezirk, wo der Kollege
Hora ein besonderer Unterstützer ist, abspielt, dem wir uns unabhängig von
diesem konkreten Projekt noch ausführlich widmen werden. Was eine der nach wie
vor zutiefst unterschätzten Entwicklungen aller Großstädte wie Wien ist, ist
die Zersiedelung. Wir haben das in einem sehr interessanten Gespräch für den
"Falter" diskutiert, dass Wien jedes Jahr, je nach Rechnung, zwischen
4 000 und 8 000 Menschen ans Umland verliert.
Das Verkehrsverhalten sehen wir schön – oder
eigentlich erschreckend – im Masterplan Verkehr. Je innerstädtischer, je mehr
öffentliche Verkehrsmittel vorhanden sind oder je näher auch eine
Radmöglichkeit gegeben ist, desto mehr Umweltverbundenheit. Das Hauptproblem
Wiens sind Einpendlerinnen und Einpendler, die einen Modal Split von 80 zu 20
zu Gunsten des Autos haben. Seit 20 bis 30 Jahren und auch innerhalb der
nächsten 20 bis 30 Jahre verliert alles, was urbanes Gebiet Wien ist,
jedes Jahr laufend an Einwohnern. Wien hat nur deswegen ein Plus, weil wir im
23., im 21. und vor allem im 22. Bezirk gebaut haben. Die erschreckende
Prognose für die nächsten 20 Jahre, auf die wir viel zu wenig reagieren,
ist, dass sich dieser Trend nicht abschwächen, sondern fortsetzen wird. (GR
Heinz Hufnagl: Das ist in allen Landeshauptstädten mit Ausnahme von Eisenstadt
genau so!) – Nur weil sich
jemand anderer am Schädel haut, muss ich mir nicht auch auf den Schädel hauen,
Herr Kollege Hufnagl! (GR Heinz Hufnagl:
Das ist schon in Ordnung! Aber das ist kein Wiener Phänomen allein!) Nein,
das habe ich nicht gesagt. Ich sage ja nicht, Sie sind schuld! Sie schon gar
nicht, Herr Kollege Hufnagl! Ich sage nur, wenn sich dieser Trend fortsetzt,
werden die Verkehrsprobleme kollabieren.
Ich möchte hier an die Frau Kollegin Cordon
anschließen, um nicht nur den ökologischen und finanziellen Aspekt, sondern
auch den demografischen Aspekt zu diskutieren. Was bedeutet das?
In München sehen wir das, weil München demografisch
und stadtplanerisch, in einer gewissen Weise auch wirtschaftsstrukturell,
einige Jahre voraus ist, was in diesem Fall kein Vorteil ist. Dort ist es genau
so. Dort sitzt heute bereits in gewissen Gegenden in verstreuten Einfamilienhaussiedlungen
in jedem zweiten Haus ein 65- bis 75-jähriger Single. Das hat mit den
veränderten Familienstrukturen und mit den hohen Scheidungsraten etwas zu tun.
Was heißt das? In diesen Gebieten, am Rande der Stadt und insbesondere
außerhalb der Stadt, gibt es keine Nahversorgung. Dort muss man mit dem Auto
fahren. Jetzt lasse ich den ökologischen Aspekt weg. Wissen Sie, was das heißt,
ob man urban wohnt und zu Fuß in wenigen Minuten irgendwo hinkommt oder man für
alles, was man tun muss, das Auto benützen muss?
Zu einem anderen grotesken Beitrag. Ich habe jüngst
mit dem Rudi Anschober geredet, der sich jetzt notgedrungen aber
glücklicherweise mit sehr vielen aktuellen Entwicklungen in Oberösterreich und,
wie ich höre, auch in Niederösterreich auseinander setzten muss. Wissen Sie, wo
die ganzen mobilen Betreuungen, insbesondere von alten Menschen, jetzt drei
Viertel des Tages zubringen? Im Auto, um von einem dislozierten Bereich, wo
jemand wohnt, zum nächsten zu fahren.
Es gibt leider – in dem Sinne, das sich das nicht
ändert – keine nachhaltigeren Strukturen als Siedlungsstrukturen. Kollege
Maresch wird das dann am Beispiel der Lobauautobahn diskutieren. Ich würde das
völlig vorwegnehmen, aber weil das in vielen Gebieten so ist, wäre es die Hauptaufgabe
der Planung, zu sagen, eines der wirklich unterschätzten ökologischen Probleme
ist die Raumentwicklung. Damit Sie verstehen, dass ich nicht nur auf die SPÖ
losgehe, sage ich das auch selbstkritisch Richtung Grünparteien, Richtung
Grünbewegung.
Ich bin ein großer Anhänger von Passivhäusern. Aber
das berühmte Passivhaus, das ich super finde, wo wir welche bauen, wo wir mehr
bauen werden, das am Rande der Stadt oder außerhalb der Stadt ist, braucht zwar
keine Energien, aber davor müssen drei Autos stehen, weil man sich dort anders
nicht bewegen kann. Da denke ich mir, es wäre besser, die hätten kein
Passivhaus und sie würden in einem komprimierten Siedlungsraum leben, wo man
nicht auf das Auto angewiesen wäre. Diese Entwicklung fortgesetzt, meine Damen
und Herren – das hat einmal der Kollege Schicker richtig gesagt –, hat Wien
durch Wiener kein Verkehrsproblem.
Das Verkehrsproblem sind die Einpendlerinnen und die
Einpendler, aber nicht die bösen Niederösterreicher, sondern genau jene
Flüchtlinge aus der Stadt – ich nenne sie jetzt bewusst so –, die aus Gründen,
auf die ich jetzt eingehen möchte, weil sie Kinder bekommen oder einen
Grünbezug brauchen, aus der Stadt ausziehen. (GRin Dipl Ing Dr Herlinde Rothauer: Oder sie wollen ein billiges
Grundstück!) Oder – jetzt kommt der Kernpunkt – sie wollen ein billiges
Grundstück, wenn die ökonomischen Anreize so sind, dass das eine nachhaltige
Geschichte ist, nämlich in einem kompakteren Wohnen. Ich gehe dann noch darauf
ein. Kompakt heißt nicht Straße, laut. Das ist nämlich der große Irrtum und das
große grundsätzliche Versagen vieler Städte, auch von Wien. Gute Ausnahmen
bestätigen die Regel. Was ist das, was ich hier herausarbeiten möchte? Dass es
für Menschen, die sagen, sie wollen ihre Kinder nicht am Gürtel oder in der
Burggasse oder wo auch immer aufwachsen lassen, sondern ihnen im Grünen
Möglichkeiten geben wollen, das frei stehende Einfamilienhaus am Rande der
Stadt doch nicht die einzige Lösung sein kann. Es gibt gute Beispiele, auch in
Wien, aber zu wenige, die zeigen, dass diese Wünsche legitim und befriedigbar
im Ballungsgebiet sind, nämlich privater Grünraum, Zugang für Kinder, leise und
licht, um einige wenige zu nennen.
Richtung 24. Bezirk, Herr Kollege Hora, füge ich hinzu,
Wasser ist sehr attraktiv. Schauen wir uns an, wie die Eliten der letzten
3 000 Jahre gelebt haben: Vor jedem
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