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Gemeinderat, 35. Sitzung vom 25.11.2003, Wörtliches Protokoll  -  Seite 8 von 120

 

Reinhardt immer wieder gefordert.

 

Von hier, meine Damen und Herren, ist zur Gedanklichkeit des Mozartjahres nur mehr ein kleiner Schritt. "Sollen die Menschen nicht denken und dichten", heißt es bei Goethe, "müsst ihr ihnen ein lustig Leben einrichten." Wir wissen, dass in dieser Stadt in weiten Bereichen ein lustiges Leben eingerichtet wird, und wir wissen, dass es heute oft schwierig ist, zwischen einem so genannten Event und einem Kulturerlebnis zu unterscheiden. Worum es mir in erster Linie geht, ist, dass die Menschen, die dort hingehen, vor allem die jungen Menschen, wissen, wo sie hingehen, dass nicht vorgetäuscht wird, dass ein Event, das in seiner ganzen Flüchtigkeit nichts zurücklässt, am nächsten Tag als Kulturereignis angeboten wird und dass jeder das Recht hat, Kultur so zu erleben, dass er nachher doch ein wenig nachdenklicher, ein wenig reicher, vielleicht auch ein wenig weiser und bewegter wieder in sein Leben zurückgeht. Das ist der Unterschied zwischen diesen beiden Dingen, und diesen Unterschied müssen wir mit Nachdruck in dieser Stadt immer wieder zur Debatte stellen.

 

Es ist ja nicht so, dass jeder in Österreich oder in Wien als kleiner Mozart oder als Kulturverständiger geboren wird. Ich erinnere mich an einen Botschafter in New York, der die Oper einfach nicht ausstehen konnte, aber das Pech gehabt hat, dass die Maria Jeritza, weil sie jeden Tag eine Loge in der Metropolitan hatte, uns und auch ihn immer wieder eingeladen hat in diese Loge. Da hat er irgendwann zu seiner Sekretärin gesagt: "Passen Sie auf, wenn die Jeritza anruft, da links stehen die kurzen Opern, also 'Salome' und 'Elektra' und so, da können Sie zusagen, rechts stehen die anderen, da müssen Sie sofort sagen, der Herr Botschafter hat keine Zeit." Eines Tages steht auf seinem Terminplan die Metropolitan, und er denkt sich, die 90 Minuten werde ich auch überleben, aber es ist die "Walküre". Er ist ziemlich verzweifelt, weiß nicht, was er tun soll. Er steht das natürlich durch. In der Pause fragt die Jeritza: "Wie geht es, Herr Botschafter?" Sie will irgendwie Konversation üben, und sagt: "Wann waren Sie denn das letzte Mal in der Oper, Herr Botschafter?" Darauf er: "Heute, gnädige Frau, heute!" (Heiterkeit.)

 

Also es ist ja nicht so, dass jeder von Geburt an in eine solche Kulturbiografie seines eigenen Lebens hineinwächst. Daher – und das ist auch ausdiskutiert bei diesem nicht unoriginellen Vorschlag, dass ich das übernehmen darf – darf es nicht um ein kitschiges Mozart-Gedenkjahr oder Mozart-Jubeljahr gehen. Ich bin kein Spektakelreferent. Es muss um ein ernstgemeintes Jahr der Reflexion über die Gegenwart und Zukunft gehen – mit Hilfe Mozarts. Und wenn uns das gelingt, wenn es uns gelingt, am Ende des Tages, am 31. Dezember 2006, einander zu finden und einander sagen zu können, jetzt haben wir nicht genug von Mozart nach diesem Jahr, sondern wir können von Mozart nicht genug kriegen, dann haben wir etwas zusammengebracht und dann wird das auch weiter wirken in die nächsten Jahre, weit über 2006 hinaus, meine Damen und Herren.

 

Es ist eine ganz tolle Chance für Wien, sich als Weltmusikstadt, als Weltkulturstadt nicht nur in Erinnerung zu rufen, sondern auch ganz bewusst konkrete Impulse für die Weiterentwicklung dieser Position in Europa und in der Welt zu schaffen. (Beifall bei der ÖVP.)

 

Musik, hat Beethoven gemeint, sei höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie, und Nietzsche hat ja bekanntlich ein Leben ohne Musik als Irrtum bezeichnet. Und einen solchen Irrtum gerade in der Weltmusikstadt Wien zu bekämpfen, nach besten Kräften zu bekämpfen, muss ein vorrangiges kulturpolitisches Anliegen sein.

 

"Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen." – Das klingt ja wie ein Auftrag an die bürgerliche Verantwortung in dieser Stadt, wie ein Auftrag Goethes, mit der Tradition genauso kreativ umzugehen wie mit der Innovation. "Nicht ihr", heißt es bei Paulus, "tragt die Wurzeln, sondern die Wurzeln tragen euch." Und nirgendwo wie in Wien fließen diese beiden Dinge so ineinander. Deshalb darf man genauso wenig unbedachte Ikonenstürzlerei und Verächtlichmachung des historisch Gewachsenen begrüßen, wie man aber auch nicht ängstlich und skeptisch und mit Scheuklappen auf der Suche nach Neuem sein darf, das ja immerhin die Tradition von morgen werden soll.

 

Ich glaube, dass mit der Suche nach dem, was uns ausmacht, immer auch die Suche nach dem, was wir aus uns machen wollen, verbunden sein muss. Kultur ist immer auch mit dem Abbau von Vorurteilen verbunden, und wer sich unvoreingenommen mit Kunst auseinander setzt, wird sich auch unvoreingenommener mit den neuen, nicht leicht begreifbaren, nicht leicht zugänglichen Phänomenen der Gesellschaft auseinander setzen. Das Immunsystem der Gesellschaft wird gestärkt, wenn sich ein relativ größerer Prozentsatz mit innerer Bereitschaft mit dem Neuen, dem Unverständlichen auseinander setzt. Da fließen Kulturpolitik und Gesellschaftspolitik ineinander, und ab dem Moment wird die Frage nach der Relevanz des Kulturerlebens, nach der Relevanz der ernsten Auseinandersetzung im Kulturbereich auch ein gesellschaftspolitisches Anliegen, weil es zu weniger Gleichgültigkeit und zu mehr Offenheit führt.

 

Deshalb, meine Damen und Herren, darf die Auseinandersetzung mit der Kunst auch nicht als eine Art willkommener Kulturinsel empfunden werden, auf die man sich flüchten kann, wenn es draußen im Leben nicht mehr klappt.

 

Der Nobelpreisträger Jossip Brodsky hat einmal gemeint, dass die Kultur keine bessere, sondern eine andere Welt sei. Sie ist nicht dazu da, der Wirklichkeit zu entfliehen, sondern ganz im Gegenteil, die Wirklichkeit zu beseelen. Möge das in unserem geliebten Wien immer so sein. – Danke schön. (Beifall bei ÖVP, SPÖ und den GRÜNEN.)

 

Vorsitzender GR Günther Reiter: Meine sehr geehrten Damen und Herren des Gemeinderates!

 

Ich wünsche dem Herrn StR Dr Marboe, sicher auch in Ihrem Namen, für seine zukünftige interessante Funktion viel Erfolg und alles Gute auch auf seinem weiteren

 

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