Gemeinderat,
29. Sitzung vom 23.06.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 60 von 122
Stadtentwicklungsplan 1994
zitieren, wenn es um das Umland geht. Das haben Sie ganz richtig erkannt, dass
in der Zukunft die Frage Wien nicht von dem abhängt, was wir allein in Wien
gestalten, sondern dass es ganz wesentlich davon abhängt, wie wir diese Region
entwickeln. Hier hat es im Jahr 1994 noch geheißen: "Je mehr die
Grenzen fallen und übernationale Einheiten und Regelungen an Bedeutung
zunehmen, desto mehr werden im Gegenzug Städte wie Wien, eingebunden in eine
aktive Region, an Gewicht gewinnen." Das ist formal vollkommen richtig.
Das Problem ist nur, dass es praktisch nicht effizient geworden ist, denn diese
stärkere Rolle von Wien, die wir uns alle gewünscht hätten, haben wir bis heute
nicht erreicht, obwohl Wien gemeinsam mit Pressburg zu einer der größten,
dominierendsten Regionen in diesem Europa werden wird. In keinem anderen Platz
Europas ist es so, dass zwei Hauptstädte so nahe nebeneinander liegen. Nur
60 Kilometer voneinander getrennt entsteht hier ein Gebiet, das einem
Konglomerat von insgesamt wahrscheinlich rund 5 Millionen Menschen
Einzug gebietet. Das heute nicht zu beachten, den Ausbau der Infrastruktur
heute nicht vorzusehen, ist ein Fehler, den wir uns nicht länger leisten
können!
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass in diesem Masterplan Verkehr
auch die Rahmenbedingungen, mit denen wir es in den nächsten Jahren zu tun
haben, ganz klar aufgezeigt sind. Die Rahmenbedingungen bei der Motorisierung
sind: Von 1991 bis 2001 haben wir in Wien die Anzahl der PKW um 15 Prozent
gesteigert. Das heißt, wir haben derzeit rund 640 000 PKWs in Wien.
Aber die Schätzungen, die über das
Jahr hinausgehen, nämlich bis 2020, die beunruhigen mich noch viel, viel mehr,
nämlich dass wir bis 2020 rechnen müssen, dass weitere 130 000 minimal bis
maximal 190 000 PKW in Wien zugelassen werden. Das bedeutet eine
weitere Steigerung um 30 Prozent.
Das macht für mich eindeutig klar,
dass das, was mein Vorredner gesagt hat, nicht in Erfüllung gehen kann oder
nicht in Erfüllung gehen darf. Man darf nicht Straße gegen Schiene oder
umgekehrt ausspielen. Beides ist wichtig, meine Damen und Herren. Eine
6. Donauquerung und wahrscheinlich auch eine siebente dazu, die wir in
20 Jahren brauchen – das sage ich auch hier an dieser Stelle, was
unbedingt notwendig sein wird –, ist genauso wichtig wie der Ausbau des
Zentralbahnhofes und der Durchstich des Lainzer Tunnels. Keine Frage: Beide
Maßnahmen sind wesentlich, und dafür müssen wir uns in beiden Bereichen
einsetzen.
Meine Damen und Herren! Aber dieser Masterplan Verkehr enthält nicht nur
die grundsätzlichen Analysen, wie dass diese Wiener Bevölkerung auch immer
älter wird, dass 2030 fast ein Drittel aller Leute über 60 sein wird, dass wir
dafür eine Politik brauchen, die behindertengerecht und altersgerecht ist, aber
dabei gleichzeitig nicht vergessen dürfen, auch auf eine kindergerechte
zukünftige Stadt zu verweisen, um nicht weiter in das Umland absiedeln zu
lassen und die Bevölkerung oder die Jungfamilien nicht dazu zu bringen, ihre
Kinder gerne im Umland aufwachsen zu lassen, sondern hier in dieser Stadt.
Und wenn wir im Verkehrsmasterplan dann so Vorschläge finden, wie zum
Beispiel Road-Pricing zu erhöhen auf 29 Cent, dann ist das ein Punkt,
meine Damen und Herren, den wir von der Österreichischen Volkspartei eindeutig
nicht unterstützen können, weil wir damit in einen Wettbewerbsnachteil
gegenüber den restlichen Ländern Europas kommen und weil es für uns bedeuten
würde, dass das nicht nur eine Gefährdung des Wirtschaftsstandortes ist,
sondern vor allem – und das möchte ich auch dem StR Rieder ins Handbuch
schreiben – auch eine Gefährdung von Arbeitsplätzen in Österreich ist. Weil wer
Arbeitsplätze in Österreich haben möchte, der muss auch die Wirtschaft stärken,
und dazu ist es notwendig, die Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten. Und mit
29 Cent sicher nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der ÖVP.)
Meine Damen und Herren! Wir haben für den Masterplan Verkehr einmal
genehmigt 12 Millionen S oder 872 000 EUR.
872 000 EUR für einen Plan, wo wir uns, glaube ich, alle erwarten,
dass konkrete operative Ziele umgesetzt werden, konkrete operative Ziele, die
sich viele Bürger wünschen. Und dafür hat meines Erachtens einmal ganz, ganz
richtig der Herr Stadtrat versucht, die Bürger mit einzubeziehen in
Bürgerbeteiligungsprozessen in den einzelnen Bezirken. Doch der Recall aus den
Bezirken ist leider alles andere als gut. Viele, viele Bürger haben dort den
Eindruck gewonnen zuerst einmal: Ja, wir dürfen hier unsere Vorschläge
einbringen. Das ist etwas ganz Tolles. Wir können hier sagen, was uns wirklich
bewegt. Doch in der zweiten Linie wurden sie nach der zweiten und dritten
Sitzung enttäuscht. Ihre Vorschläge, die sie eingebracht haben, wurden meistens
damit abgetan, indem man gesagt hat: Das sind Detailsachen, macht euch das mit
dem Bezirk aus, das betrifft uns nicht als Verkehr für die Gemeinde Wien, hier
machen wir nur die großen Ziele.
Aber, meine Damen und Herren, wofür haben wir dann die
Bürgerbeteiligungsprojekte gemacht in den Bezirken, wenn wir nicht interessiert
sind an den einzelnen Vorschlägen in den Bezirken, wenn uns das wirklich egal
ist? Dann hätten wir es gleich den Bezirken geben können.
Und gleichzeitig müssen wir feststellen, dass wir bei der
Dezentralisierung grundsätzlich wieder den Weg retour einschlagen. Wir sagen in
den Bürgerbeteiligungsprozessen: Liebe Bürgerinnen und Bürger, gehen Sie bitte
zum Bezirksvorsteher, gehen Sie zur Bezirksvorsteherin, machen Sie über eine
Partei einen Antrag in der Bezirksvertretung. Aber wir beschneiden gleichzeitig
die Rechte der Bezirke. Wir zentralisieren sie wieder, aber wir machen es eben
so, wie wir es uns gerade als nett vorstellen.
Das ist nicht das, was sich die Bürgerinnen und Bürger
vorstellen. Das ist nicht das, was sie gerne haben wollen. Sie wollen ernst
genommen werden. Und da bitte ich Sie, dass Sie das auch wirklich ernsthaft
aufnehmen.
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