Gemeinderat,
27. Sitzung vom 23.04.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 26 von 78
heute zur Debatte steht. Ich habe den Gesichtern hier
entnommen, dass es nicht so einfach war, diesem Vertragstext zu folgen, einem
Vertragstext ... (GR Gerhard Pfeiffer:
Das war Ihr Englisch! - Weitere Zwischenrufe.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Dann mache ich gleich
vorweg einen Test mit Ihnen. (Ruf bei der FPÖ: Einen Englisch-Test?)
Nicht einen Englisch-Test, sondern einen viel banaleren: Wer von Ihnen hat sich
denn diesen Vertragsentwurfstext, der ungefähr 600 bis 700 Seiten umfasst
und ausschließlich - inklusive aller Anmerkungen - in Englisch abgefasst ist,
bisher angesehen? Sie reden über 500 Millionen EUR. Wer von Ihnen hat
sich diesen Vertragstext angesehen? (GR
Mag Thomas Reindl: Wir alle!) Wir alle - so ein Schmäh! (Heiterkeit.)
Ich bin überzeugt davon, dass das nicht stimmt. (GR Mag Thomas Reindl: Fragen Sie mich was!)
Wenn ich mich hier umschaue, bin ich eigentlich
entsetzt, ich sage es ganz offen. Wir haben erst vorhin gehört, vor gut zwei
Jahren hat uns Herr StR Rieder erklärt, welche Innovation der Wirtschafts- und
Technologiefonds darstellt. Ja, schön schauen wir aus! Jetzt hören wir wieder,
welche Innovation das Cross Border Leasing zur Finanzierung der Gemeinden
darstellt - es wird tagtäglich praktiziert. Aber dann kommen wir drauf, dass
sich gegenwärtig die Risiken in Wirklichkeit überhaupt nicht abschätzen lassen.
Nicht nur das, es geht tatsächlich so weit, dass dieser Vertragstext für
jemanden, der über ein Englisch-Niveau verfügt, welches man auch für jeden
Mandatar hier im Saal annehmen und unterstellen könnte, ob der Komplexität in
Wirklichkeit nicht einmal zu lesen und zu verstehen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich mich daher
inhaltlich weitergehend mit dem Punkt auseinander setze, bringe ich einen
Gegenantrag ein, der eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte.
Dieser Antrag lautet:
Vor einem endgültigen Abschluss von Verträgen im
Zusammenhang mit Cross Border Leasing Transaktionen und diesbezüglichen
Genehmigungen beziehungsweise Ermächtigungen an den Magistrat, wie im
vorliegenden Poststück vorgesehen, ist jedenfalls ein allumfassender,
beglaubigter deutschsprachiger Vertragsentwurf in Letztfassung für alle GemeinderätInnen
zur Einsichtnahme aufzulegen. Zur Einsicht ist ein der Komplexität der Materie
entsprechender Zeitrahmen zu gewährleisten.
Sie selbst
haben darauf hingewiesen, dass die Amtssprache Deutsch ist. Sie selbst haben
mich mehrmals darauf hingewiesen, ich möge, bitte, mit dem Englischsprechen
aufhören. Ja, bitte halten Sie selbst die Grundregeln der Demokratie ein, indem
Sie Verträge - noch dazu dann, wenn es um die Größenordnung von
500 Millionen EUR geht, und das ist kein Klacks - in deutscher Sprache
zur Begutachtung vorlegen. Das ist ein Mindeststandard an Demokratie!
Aber wie
ist denn das mit den Verträgen ganz generell? Es sind mehrere Verträge - für
alle, die es nicht gesehen haben -, es gibt einen Hauptvertrag und mehrere
Ordner, worin Nebenabsprachen getroffen werden. Was prangt ganz groß auf der
ersten Seite jedes Vertragsentwurfs? "Achtung" - auf Englisch, und
ich übersetze frei; das steht nicht auf Deutsch dort, auf Deutsch findet sich
in diesem Vertragsentwurf kein Wort -, "Achtung, diese Verträge sind im
Ausland aufzubewahren"! Sollten sie in Österreich aufbewahrt werden,
müsste jede einzelne Seite mit einer Stempelmarke beklebt werden.
Die Stadt
Wien einigt sich also im Vorhinein, noch bevor irgendetwas abgeschlossen ist,
darauf, dass ein Vertrag, der die Stadt Wien betrifft, nicht in deutscher
Sprache, nicht beglaubigt und schon gar nicht in Österreich aufbewahrt wird!
Sehr geehrte Damen und Herren, und dann wollen Sie uns einreden, das sei ein
sicheres Geschäft? Wo kommen wir da eigentlich hin? Ist es das Über-Bord-Werfen
sämtlicher demokratiepolitischer Grundsätze? Ist es das Über-Bord-Werfen
sämtlicher wirtschaftspolitischer Vernunft?
Ich denke:
ja - daher noch einmal zurück, bevor wir uns tatsächlich eingehend damit
befassen! Ich ersuche hier wirklich die Mehrheitsfraktion, die
sozialdemokratische Fraktion, um Zustimmung. Sie entscheiden heute darüber, ob
Verträge, die die Stadt Wien massiv betreffen und möglicherweise auf
99 Jahre hinaus betreffen können, auch in Wien aufgelegt werden können und
deutschsprachig vorhanden sind. Sie entscheiden darüber, welchen Stellenwert
die Demokratie in Wien weiter genießt. "In aller Demut" - um Bgm
Häupl zu zitieren -, "in aller Demut": Nehmen Sie Ihre
Mehrheitsmöglichkeiten wahr und stellen Sie sicher, dass es möglich ist, solche
Verträge in Wien durchgehend deutschsprachig übersetzt zur Verfügung zu haben!
Herr StR
Rieder! Damit es leichter wird, verlasse ich ganz kurz das Rednerpult und
stelle Ihnen gerne eine Packung Papier zur Verfügung, damit Sie nicht die
Kosten des Papiers für die Übersetzung tragen müssen. (Der Redner überreicht
VBgm Dr Sepp Rieder die erwähnte Packung Papier.) Ich weiß, die
Stempelmarken für die beglaubigte Übersetzung - beziehungsweise die
Stempelgebühren; Marken zu picken ist so nicht mehr notwendig - werden teuer
genug kommen.
Aber
kommen wir zu weiteren Punkten des Vertrages, weil immer gesagt wird, dass dies
so sicher ist. Ich beginne einmal beim Gerichtsstand. Nicht bei jedem Vertrag,
den die Stadt Wien abschließt, ist der Gerichtsstand Wien, das ist vollkommen
klar. Aber warum ist bei allen Cross Border Leasing-Verträgen der Gerichtsstand
jedenfalls New York? Warum steht jedenfalls geschrieben, dass die
Vereinbarungen im "State New York" abgeschlossen werden müssen? Warum
ist das der Fall? - Einzig und allein deshalb, damit amerikanisches Recht zur
Anwendung gelangt, amerikanisches Recht, von dem wir alle wissen, dass es nicht
so etwas wie ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch gibt, sondern
amerikanisches Recht, dessen Rechtsprechung aus einer Vielzahl von Urteilen
ergeht, wobei man oft genug nicht im Vorhinein weiß, in welcher Art seitens des
Gerichts entschieden wird.
Doch die Stadt Wien ist anders, in einem Punkt: Während im
sonstigen deutschsprachigen Raum
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