Gemeinderat,
27. Sitzung vom 23.04.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 10 von 78
Wien stellt somit eine wichtige Position der
zeitgenössischen Kunst vor, in der sich grundsätzliche Erfahrungen
widerspiegeln, die vor allem außerhalb der europäischen Welt anzutreffen sind.
Die Arbeit von Theresa Margolles ist vor deren persönlichem Lebenshintergrund
in Mexiko City zu sehen. Margolles beschäftigt sich seit mehr als zehn Jahren
mit der Geschichte des Todes in der lateinamerikanischen Metropole, die vor
allem durch Überbevölkerung und Armut charakterisiert ist. Sie ist außerhalb
von Mexiko City geboren und gründete vor rund zehn Jahren gemeinsam mit anderen
Künstlerinnen und Künstlern eine Gruppe mit dem Namen
"Forensisch-medizinischer Service", die sich mit Todesformen in
Mexiko City und damit verbundenen gesellschaftspolitischen Hintergründen
auseinander setzt. Theresa Margolles arbeitet sehr bewusst und mit großer
Achtung vor dem Leben und gegenüber der Würde der Toten. Es ist ihr ein
Anliegen, Spuren von der Existenz der Toten im kollektiven Bewusstsein zu
bewahren.
Das wird
auch in einem für alle Besucherinnen und Besucher aufliegenden Vermittlungstext
erklärt, in dem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass die
Auseinandersetzung mit den Inhalten der Ausstellung eine starke psychische
Belastung darstellen kann. Die Besucher werden darüber informiert, dass der
Zutritt auf eigene Verantwortung erfolgt. Jugendlichen unter 18 Jahren
wird der Eintritt nur gemeinsam mit ihren Eltern gestattet. Des Weiteren wird
allgemein verständlich erklärt, warum die Künstlerin dem Kind das Andenken
sichern wollte. Damit soll eine bewusste Provokation des Publikums vermieden
werden. Die Auseinandersetzung mit der Ausstellung erfolgt freiwillig.
Das Kind, das
Thema des Videos ist, ist im neunten Monat im Mutterleib verstorben. Damit hat
sich eine besondere Rechtssituation ergeben, auf welche die Künstlerin
hinweist. In Mexiko unterliegen Kinder, die nicht länger als drei Stunden nach
der Geburt atmen, also am Leben sind, keinem Gesetz oder Recht. Sehr wohl
werden aber tot Geborene oder gleich nach der Geburt gestorbene Kinder
üblicherweise wie Erwachsene bestattet. Die Mutter dieses toten Kindes hatte
jedoch keine Mittel für die Beerdigung, denn sie zählt zu jenem großen Teil der
Stadtbevölkerung, dessen Pro-Kopf-Tageseinkommen weniger als fünf US-Dollar
beträgt. Die einfachste vom mexikanischen Staat gebotene Bestattung kostet
dagegen 250 US-Dollar.
Indem
Theresa Margolles das tote Kind in eine Skulptur transformiert und zu diesem
Zweck präpariert, schafft sie nicht nur einen Ort der Erinnerung für die
Betroffenen, sondern auch einen Ort der Anklage gegen diejenigen, die für diese
verheerende soziale Situation in Mexiko City verantwortlich sind. Theresa Margolles
bringt das folgendermaßen zum Ausdruck. Ich zitiere: "Mein Vorwurf richtet
sich an eine Gesellschaft, in der Gewalt fast eine Gewohnheit und Allegorie ist
und in der die Schmerzunempfindlichkeit, der Mangel an Solidarität und das
Einzelkämpfertum immer mehr zunehmen." - Zitat Ende.
Es wäre nicht richtig zu behaupten, dass die
Künstlerin Theresa Margolles ein Kind malträtiert hätte. Vielmehr geht es ihr
in diesem Werk, wie auch in anderen ihrer Arbeiten, um die Würde gegenüber dem
Leben. Mit dieser Arbeit wird das Schicksal eines Babys vor der Folie des
globalen Raubkapitalismus, für den die Menschenwürde nachrangig ist,
angeprangert. Theresa Margolles möchte es so dem Vergessen entreißen und setzt
ihm stellvertretend für Tausende andere ein Mahnmal.
In ein solches Ausstellungskonzept, aber auch in
andere Ausstellungen von Seiten der Politik einzugreifen, würde den Grundsatz
der Freiheit der Kunst widersprechen. Da die Besucherinnen und Besucher bereits
am Eingang durch einen Zettel und das Personal der Kunsthalle darauf
hingewiesen werden, dass es sich um ein Projekt handelt, das mitunter verstören
kann, halte ich den Umgang mit der Kunst von Theresa Margolles wie auch mit dem
Publikum der Kunsthalle für korrekt.
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer: Frau Mag Unterreiner.
GRin Mag Heidemarie Unterreiner (Klub
der Wiener Freiheitlichen): Herr Stadtrat!
Ich habe damit gerechnet, dass Sie eine ausweichende
Antwort finden werden, aber ich bin zutiefst empört über Ihre Antwort. Sie
flüchten sich nämlich in diese pseudointellektuelle Phrasenhaftigkeit, die man
immer wieder hört, wenn man sich umhört, wenn so genannte Kulturschaffende in
Wien ihr Unwesen treiben. Ich sage jetzt ganz bewusst "ihr Unwesen
treiben" und ich habe auch ganz bewusst das Wort der
"Leichenschändung" gewählt. Sie sind darauf nicht eingegangen.
In unserem Kulturkreis hat man unter dem Begriff
"Störung der Totenruhe" einige Verhaltensweisen aufgezählt, die man
unter dem Begriff der "Leichenschändung" zusammenfasst. Geschützt
wird die Pietät gegenüber dem Toten. Dazu gehört auch, dass man einen Leichnam
nicht misshandeln darf. Es wird auch genau beschrieben, dass die Misshandlung
einer Leiche gleichzusetzen ist mit der Misshandlung eines Lebenden.
Ich spüre, dass Sie dieses Video nicht gesehen haben.
Hätten Sie dieses Video gesehen, hätten Sie sich niemals in das Ablesen dieser
Broschüre, die ich auch habe, geflüchtet, sondern Sie hätten sich gestellt und
hätten Haltung bewiesen. Ich glaube, das wären Sie auch der Bevölkerung in Wien
gegenüber schuldig gewesen.
Ich muss noch erläutern, was das Video zeigt, weil
Sie das anscheinend nicht wissen. Das Video zeigt, dass die Pathologin Theresa
Margolles mit Werkzeugen, Nägeln, Hammer und Schere ein tot geborenes Kind -
ich sage es bewusst - malträtiert. Das heißt, es werden Nägel in die Händchen
hineingeschlagen. Diese werden dann wieder herausgezogen. Dieses Kind wird in
Position gebracht. Es ist furchtbar, wie Sie einfach vorlesen können! Ich bin
ganz entsetzt! Ich zittere, dass der Herr Stadtrat vorlesen kann, dass hier die
Leiche eines Kindes präpariert wird! Was ist denn das -
Vorsitzender GR Rudolf Hundstorfer (unterbrechend):
Frau GRin, darf ich Sie bitten, zur Frage zu kommen.
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