Gemeinderat,
26. Sitzung vom 28.03.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 57 von 67
Gegenteil, die Verantwortlichen in den USA und
Großbritannien sagen jetzt, es wird doch ein längerer Waffengang werden. Es
wird dabei eben auch auf beiden Seiten der Blutzoll sehr hoch sein. Er ist
jetzt schon erschreckend hoch.
Die meisten Menschen, die jetzt diese fürchterlichen
Bilder auf allen TV-Kanälen sehen, verstehen nicht, warum dieser Krieg begonnen
wurde. Der Eindruck, dass es mehr um die Verfügungsgewalt über die zweitgrößten
Erdölreserven der Welt und um eine geostrategische Neuordnung im Sinne der USA
geht, wiegt wahrscheinlich doch wesentlich schwerer als der Versuch der USA,
die Massenvernichtungswaffen des Iraks zu vernichten, wobei die
Waffeninspektoren immer wieder betont haben, dass sie bis zur Beendigung ihrer
Tätigkeit solche nicht gefunden haben und auch die Truppen, die jetzt dort
eingerückt sind, haben bis zum heutigen Tag auch keine gefunden.
Wenn wir daher diesen Angriffskrieg der USA ohne
kritische Worte dulden würden, dann müssen wir auch wissen, dass wir damit die
Büchse der Pandora öffnen. Denn wenn in einem Akt der Völkerrechtswidrigkeit -
und ich bin sehr froh, dass dieser Gedanke auch Eingang in unsere gemeinsame
Resolution gefunden hat, dass hier völkerrechtswidrig vorgegangen wurde - ohne
Mandat des Weltsicherheitsrats und gegen, wahrscheinlich kann man das schon
sagen, einen großen Teil der globalen öffentlichen Meinung die Supermacht
schlechthin, nämlich die USA, einen kriegerischen Akt setzt, dann will ich mir
gar nicht ausmalen, wohin diese Entwicklung dann noch führen könnte.
Hoffentlich wird sie es nicht, aber man kann jetzt spekulieren, welcher dann
der nächste Staat ist, der von den USA zum Schurkenstaat erklärt wird. Welche
Rolle wird die UNO und der Weltsicherheitsrat dann in Zukunft ausüben? Nur mehr
beratende Funktion? Welche Funktion hat dann die Genfer Konvention, hat dann
der Gerichtshof in Den Haag?
Ich glaube, da muss man wirklich ein klares „Nein“
sagen und mit allen, allen Ländern zur Verfügung stehenden Möglichkeiten versuchen,
wieder zu den Spielregeln zurückzukommen, die es jetzt doch schon einige Zeit
gegeben hat, weil sonst in Zukunft der Willkür Tür und Tor geöffnet ist. Ich
sage, dass das Völkerrecht eben bis zu diesem Vorgang schon viel
weiterentwickelt gewesen ist. Ich gehe da konform mit dem Vizekanzler Haupt,
der gemeint hat, wenn man es volkstümlich sagt, dann ist das Völkerrecht im
konkreten Fall mit Füßen getreten worden, denn die Satzungen der Vereinten
Nationen übertragen dem Sicherheitsrat - das ist eben ein sehr großer
Fortschritt in der Völkergemeinschaft - die Hauptverantwortung für die Wahrung
des Friedens und der internationalen Sicherheit und nicht einem einzelnen
Staat, der meint, Weltpolizist spielen zu können und das von eigenen Gnaden.
Eine Gewaltanwendung, wie sie derzeit stattfindet, ist nicht autorisiert, und
daher hat das Völkerrecht insgesamt einen schweren Rückschlag erlitten.
Wir in Europa müssen uns aber auch eingestehen, dass
die Europäische Union einen Rückschlag erlitten hat, denn wenn man die EU als
Friedensprojekt versteht, dann hat diese Union derzeit Schiffbruch erlitten.
Ich will jetzt gar nicht spekulieren, ob das vielleicht auch gewisse Kräfte
wollten, damit sich Europa nicht zu schnell eint. Der Krieg kam ja nicht
überraschend, sondern wenn man das noch einmal aufrollt, dann war eigentlich in
der Diktion und Rhetorik des derzeit amtierenden Präsidenten der USA nach dem
11. September so manches nachzuvollziehen, wohin diese fürchterliche Reise
geht. In Europa wurde das vielleicht nicht oder zu spät verstanden, und das war
zweifellos ein Fehler. So gesehen muss man auch sagen, dass Europa und die
Einigung Europas eigentlich auch erst am Anfang steht und das, was so wichtig
wäre, in Wirklichkeit überhaupt noch nicht vorhanden ist, nämlich eine
gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik.
Ich glaube, dass man das auch sagen soll. Dr Tschirf
hat es schon kurz angeschnitten. Das hat überhaupt nichts mit irgend einem
Antiamerikanismus zu tun, sondern - obwohl gerade von den USA her das so ein
bisschen jetzt in diese Richtung gedrängt wird - es ist auch das ein
demokratisches Recht, dass ein souveräner Staat seine eigene Meinung hat. Da
möchte ich ganz kurz den deutschen Außenminister im letzten „SPIEGEL“ zitieren,
weil ich finde, dass es sehr, sehr wichtig ist, dass man eben nicht sagt - auch
wenn man durchaus selbstverständlich die Leistungen der USA insgesamt
akzeptiert -, man muss ruhig sein, wenn diese Macht einen Fehler macht und eine
Vorgangsweise wählt, die eigentlich nicht mehr in unsere Zivilisation passt.
Fischer sagte: "Denn Demokratie bedeutet auch, anderer Meinung zu sein in
existentiellen Grundsatzfragen durchaus auch gegenüber befreundeten
Regierungen."
Daher meine ich, dass es wichtig ist, dass man sich
auch daran hält und sagt, man lasst sich nicht durch Pressionen und schon gar
nicht durch irgendwelche Lockangebote dahin bringen, dass man schweigt. So
gesehen hat die Türkei beziehungsweise das türkische Parlament eigentlich einen
auch sehr bemerkenswerten Schritt gesetzt, dass es hier nicht dem nachgekommen
sind, was man gemeiniglich jetzt als „Verlockung mit einem sehr großen Betrag“
bezeichnen würde.
Es sollten sich aber die Amerikaner eigentlich schon
überlegen, ob das für die Zukunft wirklich ein Stil sein soll. Natürlich muss
man, und das ist auch schon betont worden, in aller Klarheit feststellen, dass
im Irak eine Diktatur am Werk ist, die wirklich auch Schreckliches verbrochen
hat und die einen Krieg geführt hat, nämlich den Irak-iranischen Krieg, der zu
den schrecklichsten gehört hat, die sich je abgespielt haben, aber auch, dass
sie gegen die eigene Bevölkerung schwerste Verbrechen begangen hat. Da gibt es
auch nichts zu beschönigen.
Aber wenn man sich genau diese letzten 20 Jahre vor
Augen hält, dann sieht man auch, dass hier eine Doppelbödigkeit bei den
Amerikanern vorliegt, weil die Saddam Hussein auch anders begegnet sind, sich
seiner bedient haben und ihm nicht in den Arm gefallen sind, als er Giftgas
etwa gegen die Kurden auf dem eigenen Staatsgebiet eingesetzt hat. Erinnern wir
uns an den
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