Gemeinderat,
26. Sitzung vom 28.03.2003, Wörtliches Protokoll - Seite 55 von 67
Saddam Hussein auf der anderen Seite, die sich auf eine
letzte Instanz zurückziehen. Diese letzte Instanz ist der liebe Gott. Auf
beiden Seiten sind wir das gesegnete Volk, wir haben den Auftrag und ohne jeden
Zweifel führen wir Gottes Auftrag aus, indem wir diesen Krieg führen.
Soviel kann ich mich an meinen Geschichtsunterricht
erinnern, dass auch wir Europäer wissen, was unter dem Banner Gottes an
Kreuzzügen, an Entsetzlichkeiten passiert ist und es eine der europäischen
Errungenschaften ist, den lieben Gott nicht mehr als Fahne für Politik und
schon gar nicht als Fahne für die Kriege heran zu ziehen. Das ist eines der
Dinge, die ich am heftigsten kritisiere und politisch demokratisch auch
bekämpfen will, diese Trennung von Kirche und Staat und nicht das Banner des
lieben Gottes als Rechtfertigung für entsetzliches Leid und für entsetzliche
Niederlagen.
Dass sich dieser Krieg jetzt hinausziehen wird, noch
lange nicht zu Ende ist, unglaubliches Leid mit sich bringt und unglaubliche
materielle Ressourcen bindet, das möchte ich auch noch kurz sagen. Wenn man,
wie viele von uns, sich in Armenregionen dieser Welt bewegen, und ich war jetzt
lange in Südafrika und weiß, was dort zum Beispiel diese 10 Millionen S
bewirken, die hier im Gemeinderat einstimmig beschlossen worden sind, dann weiß
man – und ich habe kurz im Kopf gerechnet -, was an unglaublichen Werten ein
Tag Cruise missiles und Bomben auf Bagdad oder Basra darstellt. Das sind so
viele Milliarden Dollar! Was da verschleudert wird, das kann man sich nicht
vorstellen! Dass es möglich ist, unter kriegerischen Voraussetzungen
200 000 Leute und jetzt noch einmal 100 000 Leute in einen
anderen Kontinent zu bringen und die mit Wasser, Energie, Nahrung und Sanitäreinrichtungen
zu versorgen, dass also offensichtlich unsere Gesellschaft reich genug ist, um
viele Ziele zu erreichen - was könnte man hier im humanitären Bereich, im
Bereich der Bildung, im Bereich der Gesundheit und in vielen, vielen Bereichen
tun, um Spannungen abzubauen, um letztendlich Kriege zu verhindern.
Deswegen bin ich über diesen ganz kleinen Tropfen
froh, den dieser Gemeinderatsbeschluss hier mit sich bringen wird. Weil viele
sagen, was hat denn das für einen Sinn, was hat denn das Demonstrieren für
einen Sinn und ich höre jetzt viele, die das sagen: Ich glaube, dass es sehr
viel Sinn hat und das letztendlich das auch ein Krieg ist, und das bemerken
wir, wenn wir das Fernsehen aufdrehen, wo wir alle merken, da kannst du
niemandem auch nur irgend etwas glauben. Da ist jedes dieser Bilder, egal von
welcher Seite, Instrument des Kriegs an Desinformation. Wir wissen echt gar
nicht, was da passiert. Zum Glück gibt es so etwas wie das Internet, wo man
noch ein bisschen schauen und versuchen kann, sich einen Überblick zu bewahren.
Eines ist aber eine Tatsache: Die überwältigende
Mehrheit der Bevölkerung in Europa ist gegen diesen Krieg, auch in
Großbritannien. Hier hat sich das Blatt längst gewendet. Es sind Millionen auf
der Straße, was ein kleiner Hoffnungsfunke ist. Normalerweise kannst du eine
Bevölkerung hinter dich binden, wenn du Krieg führst. Und hier aufzustehen und
nicht mit Juhu in einen Krieg zu gehen, wie es über Jahrhunderte war und zu
sagen, nein, nein - da glaube ich, ist die Demokratie auch in den USA
langfristig stark genug, dass sie das nicht durchhalten will. Damit ist das
Problem des Iraks so oder so des Nahen Ostens nicht gelöst.
Aber eines sollte uns klar sein: Dieser Krieg ist so
falsch wie irgendein Krieg nur sein kann und es ist gut und richtig, wenn auch
nur ein kleiner Schritt, dass es diese Resolution gibt. Hoffentlich wird sie
dazu führen, dass dieser Krieg bald beendet wird und dass andere Formen der
Konfliktvermeidung und der Überführung von Diktaturen in Demokratien möglich
sein werden. Die USA gehen einen Weg, der sie extrem isolieren wird und den ich
politisch und humanitär für verheerend erachte. - Danke. (Beifall bei den
GRÜNEN und der SPÖ.)
Vorsitzender GR Günther Reiter: Zum
Wort gemeldet ist Herr Klubobmann Dr Tschirf. Ich erteile es ihm.
GR Dr Matthias Tschirf (ÖVP-Klub der Bundeshauptstadt Wien): Herr Vorsitzender! Meine sehr
geehrten Damen und Herren!
Wir haben uns in der
Präsidiale darauf geeinigt, dass wir uns bemühen, eine Vier-Parteien-Einigung hinsichtlich
einer Resolution dieses Wiener Gemeinderats zur Situation im Irak
herbeizuführen. Das ist gelungen.
Wir haben jetzt die
Aussprache zu diesem Thema und ich stelle fest, dass Stadträte von allen
Oppositionsparteien anwesend sind, dass der Landtagspräsident anwesend ist,
aber ich bedaure nur, dass kein amtsführender Stadtrat hier im Saal ist.
Wir sind sicherlich alle von den Bildern erschüttert,
die wir tagtäglich via Fernsehen mitverfolgen und von all dem menschlichen
Leid, das damit verbunden ist. Es handelt sich um menschliches Leid in einem
Gebiet im alten Orient, das als Nabel der Welt bezeichnet wird. Das
Zweistrom-Land wird seit vielen Jahren von einem brutalen Diktator regiert.
Krieg ist immer ein Versagen von Politik. Wenn an die Stelle von Politik der
Krieg und die Gewalt tritt und das vor allem im 21. Jahrhundert, wo wir
glauben, dass wir um vieles humaner geworden sind, dann tut dies weh.
Wir haben es hier mit einem Versagen der Politik zu
tun, mit einem Versagen der Politik der handelnden Akteure, mit einem Versagen
der politischen Institutionen insgesamt, mit einem Versagen der Regierung der
Vereinigten Staaten, mit einem Versagen der UNO als Wächter des Völkerrechts
und der Menschenrechte und mit einem Versagen auch der Europäischen Union.
Wir sind in Wien selbstverständlich auch damit
konfrontiert. Unsere Stadt hat eine Tradition des friedlichen Zusammenlebens
vieler Ethnien und Religionen. Christen, Juden und Moslems leben hier friedlich
miteinander. Eine Sehnsucht nach Frieden, einem Frieden, wie man ihn etwa bei
dem ökumenischen Friedensgebet im Stephansdom am 15. Februar erleben
durfte, als noch die Hoffnung da war, dass das Ganze vielleicht doch friedlich
gelöst wird. Das ist das Verständnis, das in dieser Stadt vorherrscht.
Unsere Wiener Realität ist das gelebte Miteinander.
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